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Brückenschlag Band 16, 2000

Leseprobe

Wolfhardt Behrendt
Da lebte ich mit Göttern
Die ersten Erinnerungen an den Alltag sind recht düster. Von Farben ganz zu schweigen. Die einzige Farbe, die ich da kannte, war vor allem etwas zu essen zu bekommen. Hunger ist schwarz. Wir waren auf der Flucht vor der Ostfront. Ich war aber noch zu klein, um das Grauen des Krieges bewußt zu erleben. Als uns die Front eingeholt hatte, wurden wir in Lagern untergebracht. Die einzige Sorge war dann, nicht verhungern zu müssen. Ein kleiner Kanten Brot war schon ein Farbenspiel. Sich richtig sattessen blieb ein Traum. Auch dann noch, als wir 49 in die DDR kamen. Doch es gab zu essen, wenn auch nicht viel. Auf Süßigkeiten mußten wir lange noch verzichten. Das einzige Süße waren manchmal Zucker oder Kunsthonig. Ich glaube nicht, daß ich damals schon wußte, was Schokolade ist. Etwas Kunsthonig war schon ein Erlebnis. Es blieb von der Papierdose bis auf das Papier nichts übrig. Er wurde ausgeschabt und ausgeleckt.
Besser wurde es, als mein Vater 53 aus der Gefangenschaft kam. Es gab sogar manchmal schon Spielzeug. Ich wurde eingeschult und etwas später bekam ich einen kleinen farbigen Bausatz, aus dem ein kleines Häuschen gebaut werden konnte. Ich habe es bis heute verklärt in meiner Erinnerung. Vor allem die blauen Papierfenster. Viel Spielzeug machten wir auch selber, wie Stelzen, Ballerbüchsen. Auch eine Art Schlittschuhe und vieles mehr. Meine Kindheit war eigentlich sehr schön, dank meiner Eltern. Sie hatte schöne Sonnenseiten.
Nach dem Umzug in einen Vorort von Berlin ging es schon viel besser. Ich hatte dann schon ein eigenes Fahrrad und mit 17 sogar ein Moped. Was noch wichtig war, waren meine Freunde und auch eine Freundin. Die Liebe kam schon früher. Doch dieses famose Gefühl brachte mich auch in Zweifel. Wenn ich daran dachte, ich müßte dann wohl heiraten, was dann. So kam es, daß ich nie zu einer richtig festen Bindung kam. Die Farben der Liebe blieben mir immer verdächtig. Vielleicht lag es daran, wie mein Lebenslauf weiterging.
Als ich dann mit 18 Jahren mit meiner Schwester und ihrer Freundin nach Westberlin floh, war ich plötzlich auf mich allein gestellt. Ich mußte nun für mich sorgen: Essen, Wohnen usw. Doch ich hatte immer die Hoffnung, daß ich es schaffen würde. Ich ahnte nicht, was da auf mich zukam.
Es waren harte Anfangsjahre. Aber ich hatte wieder Freunde und Freundin und war wieder lebensfroh.
1965 wurde ich zur Bundeswehr einberufen. Das Soldatenleben war nicht leicht, es forderte mich. Es gefiel mir und ich wurde Zeitsoldat (vier Jahre).
Nach der Bundeswehr plante ich einen längeren Aufenthalt in England. Ich bekam eine gute Abfindung und leistete mir ein Auto und eine Wohnung in London. Das war natürlich ein angenehmes Leben.
Doch irgendetwas geschah mit mir. Ich hatte ganz phantastische Träume. Ich sah die Musik in wundervollen Farben. Ich hatte eine unglaubliche Wahrnehmung. Die psychische Erkrankung war ausgebrochen. Nun vollzog sich mein Leben in einer anderen Welt. Vielleicht nur eine Bewußtseinserweiterung. Was so anders wurde, war diese Art Märchenwelt. Überall fremdartige und wundersame Formen und Farben. Ich verlor fast gänzlich die Bindung zu realem Tun und Denken.
Doch nun kam die größte Veränderung in meinem Leben. Ich fuhr in meinem Wahn zurück nach Mannheim. Soweit es mir in Erinnerung geblieben ist, besuchte ich da einen Freund und wollte wieder zurück. Doch ich kam halbbewußt nur bis Frankfurt. Da begann dann die Geisterfahrt, die mich schließlich bis an die Grenze zur DDR brachte, das war im Februar, ca. der zehnte, weiß ich nicht mehr genau. Ich durchstieg die Zäune und wurde später von der Polizei im Namen des Volkes festgenommen. Die so schöne Märchenwelt änderte sich zum schrecklichen Grauen. Sie festigte mich zum psychisch Kranken.
Seitdem lebte ich fast wie in einer Hölle und das 17 Monate lang. Dann kam ich wieder zurück nach Mannheim. Aber ich war ein Wrack, kaum mehr ansprechbar. Es schien, dass ich für diese Welt verloren war. Die Regel war nun dieses schlimme, grauenhafte Erleben und von Wesen bedroht. Es waren oft Todesschreie, die mich nun begleiteten. Gequält von diesen unsichtbaren Händen, gehetzt wie mit Hunden, von einer Scholle zur anderen springen und ich erreichte das Festland dennoch nicht. Und das tagein tagaus. Woche für Woche, Jahr für Jahr. Und manchmal auch ein unglaubliches Glücksgefühl, wie goldener schwerer Wein, in dem wohl Gift drin ist. Diese wahnsinnige Größe, die ich damals erlebte, ist schwer zu erklären. Da lebte ich mit Göttern.
Mit zunehmendem Alter und mit der Therapie und mit den richtigen Medikamenten und einem ziemlich genau geregelten Alltag habe ich heute viel Ruhe und Bewußtseinskontrolle erreicht.
Das nun recht genügsame Leben ist viel farbiger und angenehmer, als ein Gott zu sein. Doch ich bin diesem Wahn auch in gewisser Hinsicht dankbar, daß ich so etwas Grauenhaftes erleben konnte und überlebte. Diese fremde Welt in mir ist mir nun manchmal wie eine Schatzinsel. Von ihr sehe ich zurück, auch wie ich manchmal dem Tode entkam. Diesen erreichten Boden will ich nicht mehr verlieren.


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