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Brückenschlag Band 25, 2009

Leseprobe

Es hat sich wirklich viel verändert. Längst sind die Krankensäle der Psychiatrie kleinen Mehrbettzimmern mit sanitärem Komfort gewichen. Die Psychiatrie-Erfahrenen haben sich wie die Angehörigen psychisch Kranker organisiert, haben einen Bundesverband gegründet. Wir leben in einer Zeit des Trialogs und der Psychoseseminare. Betroffene sitzen in vielen Gremien, wenn auch manchmal immer noch in Alibifunktion. Es wird von „gleicher Augenhöhe“ geredet. Die in der Psychiatrie Tätigen hören uns zu und manchmal auch auf uns. Wir werden mit unserer Erkrankung nicht mehr alleine gelassen. Psychoedukation, Sozialpsychiatrische Dienste und ein ganzes Heer von Helfern sind entstanden, um uns nach der Klinik Teilhabe am Leben der Gesellschaft zu ermöglichen oder einen erneuten Klinkaufenthalt zu vermeiden. Manchmal frage ich mich allerdings, ob so viel Unterstützung – als Nebenwirkung – viele von uns nicht träge macht und eine ungute „Versorgungspassivität“ bewirkt. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb Themen wie Empowerment, Recovery oder Selbststigmatisierung bei den Professionellen auf mehr Resonanz stoßen als bei uns Betroffenen. Inzwischen arbeite ich aktiv im Vorstand des Nürnberger Selbsthilfevereins Pandora. Es gilt immer noch viele Barrieren in den Köpfen unserer Mitbürger einzureißen und leider auch in den Köpfen mancher Psychiater. Dass ich acht Jahre lang heftig an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gelitten habe, gehört längst zu meinem Selbstverständnis. Es ist ein Teil meines Lebens, den ich nicht vor mir hertrage, aber auch nicht verstecke. Ich betrachte es einfach als Zusatzqualifikation.
33 Jahre Psychiatrieerfahrung als Kranke, Professionelle und Ehrenamtliche haben mich gelehrt, in jedem Erkrankten und jedem Professionellen eine einzigartige Persönlichkeit zu sehen. Ich bin überzeugt, dass keine Psychose der anderen gleicht. DEN Psychotiker gibt es für mich ebenso wenig wie DEN Angehörigen oder DIE gesprächslose Psychiatrie. Immer sind es einzelne Menschen, die unter bestimmten Umständen einander begegnen.
Brigitte Richter


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