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Brückenschlag Band 20, 2004

Leseprobe

Fe Berg

Der Hefezopf

als ich Fenster mit Vorhängen malte
Zimmerlinde und Christusdorn
legte meine Großmutter ihre Töpfe zum Trocknen ins Freie
und nannte meinen Bruder Sputnik
weil man doch nicht drei Kinder macht
wenn man Schulden hat

als dann Großmutter Mutter nicht leiden konnte
weil ihr der Hefezopf nicht aufging
und ihr Vater ein alter Nazi war
steckte der Sohn vom Nachbarn
seinen Pimmel durch den Zaun
und warf nasse Erdklumpen an die Hauswand

als uns Großvater zwei Markstücke gab
nachdem er die Maultaschensuppe geschlürft hatte
und die Brühe aus seinen Mundwinkeln
zurück in den Teller getropft war
aß ich die Butter ohne und den Rahm mit Brot
und wartete auf die dicke Meta mit dem Milchauto
um ihre schuppigen Waden unter dem blauen Kleid zu betrachten

als Mutter sagte
die Männer müssen in den Krieg
und die Frauen kriegen Kinder
und wir nicht auf’s Feld durften
weil die Landstreicher nachts auf den Strohballen schliefen
lag mein Bruder im Kinderwagen
und der Nachbar sagte
Rab Rab dein Häuslein brennt
sitzen sieben Junge drin

als ich heimlich in die Hecke pinkelte und der Pfarrgarten
der Garten vom Kindergarten war
und wir Jesus geh voran singen mussten
wenn es dunkel wurde im Saal
da holte der Nachtgrab die bösen Kinder
die Großmutter aber hat der liebe Gott geholt
und keiner hat mehr Sputnik gesagt
und endlich dann ist der Hefezopf aufgegangen


Irene Hoppe

Die unsichtbare Mauer

Als Kind war ich immer sehr ehrlich zu meinen Eltern. Wenn sie mich ehrlich etwas fragten, habe ich ihnen meine ehrliche Antwort gegeben.
Meine Eltern haben meine Meinungen nicht in Zweifel gezogen.
Heute weiß ich erst, wie schön es ist, wenn ein Mensch einem glaubt, die Person nicht ständig in Zweifel gezogen wird.

1985 bin ich mit einem Reisebus nach Spanien in Urlaub gefahren.
Auf dieser Reise habe ich zwei fröhliche Frauen kennen gelernt.
Maritta und Cornelia wussten nicht, dass ich als psychisch krank gelte, so haben sie mich als ganz normal empfunden und dadurch war es für mich erfrischend, fröhlich und schön in Spanien. Die beiden Frauen auf der Reise haben mich nicht als verrückt betrachtet, wodurch eine unsichtbare, aber spürbare Mauer entsteht.
Es war keine unsichtbare Mauer da, kein Zaun, ich war nicht die Aussätzige, nicht die aus der Irrenanstalt.
Es war ein positives Erlebnis für mich.

Wenn die Leute dieser Stadt mit Fingern auf dich zeigen und flüstern, dann zeigen vier Finger ihrer eigenen Hand auf sie selbst zurück.
Vielleicht ist das Spüren diffus: Man wird beguckt als eine, mit der etwas nicht stimmt, selbst dann, wenn man vielleicht gerade gesund ist und geschlafen hat usw. Auf diese Weise wird Krankheit immer neu provoziert.
Man trägt unsichtbar eine Armbinde, auf der steht: anders, verrückt, abgesondert, krank usw.
Weil es so negativ ist, ziehe ich mich zurück. Ich bin heute lieber allein und bin schon deshalb: anders.
Heute bin ich nicht mehr eine, die eine ehrliche, eigene Meinung vertritt. Heute bin ich jemand, der Angst hat und unsicher ist. Nach meinem zweiten Studium wollte ich das Bewusstsein von Menschen verändern, danach versuchte ich, Menschen anzunehmen, wie sie eben sind. Jetzt möchte ich nur noch in Ruhe gelassen werden. So kann man sich verändern.


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