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Brückenschlag Band 17, 2001

Leseprobe

Jürgen Becker

Lackschuhverordnung §12, Abs. 2

Ich bin jetzt auch für die Säuberung der Innenstädte. Das Tragen von Pelzmänteln und anderem asozialem Verhalten gerade im Bereich Dom, Philharmonie und Opernhaus hat künftig zu unterbleiben. Aggressive Zur-Schaustellung von Reichtum ist sofort in der Innenstadt verboten. Dazu gehört ein Fahrverbot aller Acht- und Zwölfzylinderlimousinen, generell Mercedes-S-Klasse, BMW-Siebenerreihe und aller Jaguarmodelle ab BaujahrMärz 1986.
Was die Bekleidung angeht, gilt die Schmuck- und Lackschuhverordnung § 12 Abs. 2. Näheres regelt ein Landesgesetz.
Weiter verboten ist die Verschandelung der Innenstädte durch Marmorfassaden und Messingverkleidungen, insbesondere im Eingangsbereich von Boutiquen und Hotels. Solche Geisterbahnen des schlechten Geschmacks schaden dem Ansehen der Stadt und damit uns allen.
Filialen der Dresdner Bank gelten wegen ihrer historisch engen Verflechtung mit der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten juristisch als Verschmutzung der Innenstadt. Solches Gesindel gehört an den Stadtrand oder standrechtlich geschlossen.
Aggressives Betteln um Kundschaft, durch Leuchtreklamen, Großflsächenplakaten und anderer Marketingschmierereien gilt als Sachbeschädigung des Stadtbildes und wird mit Gefängnis nicht unter zwei Jahren bestraft.
Weiter verboten ist das Ausnehmen von Touristen durch lautsprecherbestückte blökende Bimmelbähnchen mit so genannten kommentierten Stadtrundfahrten. Ich selber bin auf der Rheinuferpromenade von so ‘nem Kitschmonster angefahren worden. Erst hebt dieser Nepp das touristische Ambiente Kölns auf das Niveau von Königswinter, und dann putzen sie auch noch die Eingeborenen von der Platte!



Gottfried Beer

Der Bauwagen

Vor der Tür des Tabakladens ist sein Platz – auf einem Stück Pappe, die Plastiktüten und den Schlafsack neben sich. Und auf dem kleinen Schild vor dem Münzen-Schälchen stehen nur zwei Worte: Habe Hunger!
Ich weiß nicht mehr, wie wir eines Tages doch noch ins Gespräch kamen.
Es ging wohl zuerst um Zigaretten, das Wetter und gute und schlechte Zeiten.
Und irgendwann kramte Helmut umständlich ein zerknittertes Foto aus der Innentasche seines abgewetzten Anoraks und reichte es mir wortlos. Ich hatte mich in der Hocke auf seine Höhe begeben und konnte auf dem Abzug recht wenig erkennen. Da stand ein Bauwagen zwischen parkenden Autos am Straßenrand – allerdings mitten im Schnee.
„Man konnte sich einmummeln, wie man wollte“, sagt Helmut, zieht am Stummel seiner Zigarette und macht eine Geste des Zudeckens bis hoch zur Nase. „Die Kälte war einfach überall. Und dabei hatte ich ja eigentlich alles: Schaumstoffplatte, Plastikfolie, Decken. Aber die Kälte, die kroch überall rein, kann ich Dir sagen.“
„Da haben Sie auch im Winter drin geschlafen, bei Schnee?“, frage ich eher zögernd.
Helmut nimmt mir das Bild vom Bauwagen wieder aus der Hand, schüttelt leicht den Kopf und sagt leise: „Nicht drin, drunter.“


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