Suche:     

"Das kann ich nicht mehr verantworten!"

Leseprobe

Ein Beispieltext aus dem Kapitel
1. Die Soziale Arbeit wird Zug um Zug zu einer neoliberal gekennzeichneten Dienstleistung umfunktioniert

»Ihre Berufsberatung ist ineffektiv, Frau Körber!«
Nicht das ist effektiv, was den Bedürfnissen der Klientinnen und Klienten entspricht, sondern das, was den Zweck des Auftraggebers erfüllt

Du glaubst es nicht, was mir gestern passiert ist! Ich kann es selber noch nicht glauben. Und du weißt, nach 28 Jahren als Sozialarbeiterin in der Berufsberatung kann mich so schnell nichts mehr umhauen.
Bisher dachte ich immer, dass es mir bei meiner Arbeit zum Glück gelungen sei, dem ganzen Hartz IV-Wahnsinn von der Schippe zu springen, sozusagen in eine Nische, wo wir weiterhin gute Arbeit machen können. Uns war bisher möglich, mit den jungen Leuten, die ja in der Regel eine sehr krause Biografie und meist eine gescheiterte Bildungsbiografie hinter sich haben, wirkliche Beratung zu machen, also mit ihnen in Ruhe und gründlich zu erarbeiten, was sie in ihrem Leben leisten, arbeiten, erreichen wollen, was sie können, wo ihre Interessen liegen, welche Schwierigkeiten sie bei einer Ausbildung oder einem bestimmten Beruf bei sich selber glauben überwinden zu müssen und wie das gehen kann. Und wenn es mal andere Probleme gab, die sich in ihrem Leben gerade heftig in den Vordergrund schoben, die aber nicht unmittelbar mit ihrer beruflichen Zukunft zusammenhingen, dann sprachen wir natürlich auch darüber. Denn was nutzt mir ein junger Mann, der die ganze Zeit über seinen Liebeskummer oder seine Handyschulden nachdenkt, während ich versuche, ihm irgendwelche Ausbildungswege aufzuzeigen?
Und das war alles gut so und auch im Team erwünscht und gewürdigt. Klar, ich habe schon gesehen, dass die Leitung immer deutlicher auf Erfolgsmeldungen, schnelle Durchgänge und flotte Ergebnisse zählt. Aber bisher konnte ich meine Professionalität dagegenstellen. Ich habe weiter so gearbeitet, wie ich das gelernt, in meiner Berufspraxis immer wieder erfolgreich praktiziert und in vielen Fortbildungen vertieft habe.

Gestern früh wurde ich zur neuen Chefin gerufen. Das ist eine ganz junge Frau, sie hat einen Master in Sozialmanagement, soweit ich weiß. Ob sie je mit unserer Klientel gearbeitet hat, weiß ich nicht. Ich wage es zu bezweifeln. Ich war ihr bisher nur bei ihrer Einführung und auf dem Flur begegnet. Neulich hat sie sich Akten von mir bringen lassen. Ich habe das für eine Routinesache gehalten. Sie will sich halt einarbeiten, dachte ich.
Schon als ich das Büro betrat, wurde mir mulmig. Sie saß da in einem neuen, super designten Chefsessel – jedenfalls habe ich dieses Teil bei uns vorher noch nie gesehen und bot mir weit weg von sich selbst einen bescheidenen Platz an. Und dann ging es los: Sie müsse mit mir sprechen. Da müsse sich dringend was bei mir ändern. Sie hätte gehört und sich jetzt auch persönlich anhand meiner Akten davon überzeugen können, dass ich meine Jugendlichen nicht effektiv und schon gar nicht effizient berate. Kurzum, es gäbe Zweifel an meiner Beratungskompetenz.
Ich dachte, ich höre nicht richtig, habe sie fassungslos angesehen und nur gefragt: „Wie kommen Sie denn darauf?“ Sie konterte mit einem Fall, bei dem ich vor wenigen Tagen mit dem Jugendlichen zusammen entschieden hatte, dass der vom Jobcenter angebotene Fortbildungskurs in seinem Fall nicht sinnvoll sei und wir etwas ganz anderes brauchen.
„Aber genauso ist es doch“, habe ich noch eingewandt, „der Junge wäre einfach völlig falsch in diesem Kurs und es ginge wertvolle Zeit für ihn verloren. Ich arbeite mit ihm im Moment daran, dass er sich selber aktiv um Ausbildungsmöglichkeiten in dem Bereich bemüht, der für ihn interessant ist und nachdem er – nach langer Beratung – jetzt etwas gefunden hat, was ihn motiviert.“
„Das interessiert hier nicht, Frau Körber“, war die Antwort. „Sie arbeiten ineffektiv. Sie wissen genau, dass es darum geht, den Kurs AC12 noch bis Ende dieses Monats vollzukriegen. Das ist der Auftrag.“
„Aber wenn das doch für den Klienten nichts bringt?“
„Das haben Sie hier nicht zu entscheiden, verstehen Sie?“
Ich ging völlig verdattert aus dem Büro. Mittags in der Kantine habe ich dann die Kolleginnen und Kollegen informiert. Alle fanden das dreist und unmöglich und bis zum Gehtnichtmehr fachlich daneben.
Ich bin noch am Nachmittag zum Personalrat gegangen, der sehr verständnisvoll reagiert hat und mir helfen wollte, vorausgesetzt, ich bekäme meine Kolleginnen und Kollegen hinter mich und wir würden sozusagen als Team gegen dieses Vorgehen und Ansinnen gemeinsam mit dem Personalrat Protest einlegen.
Heute früh habe ich gleich die Kollegen zusammengetrommelt und sie gebeten, einen Text zu unterschreiben, den ich mit dem Personalrat aufgesetzt hatte. Sie drucksten alle vier herum: „Du hast ja recht. Aber ich kann mir Ärger hier nicht leisten. Ich muss den Job behalten. Du weißt, seit Klaus weg ist, ernähre ich meine drei Kids allein.“ – „Es ist unmöglich, was sie mit uns und den Klienten machen, aber sie sitzen nun mal am längeren Hebel.“ – „Ich glaube, es ist am sinnvollsten, wir versuchen einfach trotzdem das Beste daraus zu machen. Sie muss ja nicht alles mitkriegen.“ – „Tut mir leid, Marianne, aber das ist mir zu riskant ...“
So ist das also. Der Personalrat hat mit den Achseln gezuckt und meinte, wenn ich alleine was unternehmen würde, würde man mich gegen die anderen ausspielen und die würden vermutlich die Klappe nicht aufmachen.

Was soll ich tun? Ich muss das noch sieben Jahre bis zur Rente durchhalten! Kann ich das? Soll ich mir meinen Beruf kaputt machen lassen und soll ich es akzeptieren, dass man mich als inkompetent bezeichnet, einfach deshalb, weil meine Arbeit deren „Soll“ nicht erfüllt, ihnen zu lange dauert und damit zu teuer ist? Soll ich das, worauf ich bisher stolz war und was ich für wertvoll halte, nun einfach vergessen?
Wie kann so jemand mit so einem Managementgehabe so eine Macht kriegen? Was ist mit unserer Erfahrung, unserem Erfolg, unserer Kompetenz. Alles nur Schrott?
Weißt du, ich denke ernsthaft darüber nach, ob ich nicht früher in Rente gehen kann. Welche Alternativen hätte ich denn sonst: Berufswechsel, in meinem Alter? Und die große Kampfansage mit lauter feigen und übervorsichtigen Kolleginnen und Kollegen im Rücken, das schaffe ich, weiß Gott, heute auch nicht mehr. Oder anpassen, einfach sagen: O.k., es ist zwar unsinnig, albern und sogar kontraproduktiv. Aber wenn ihr es so wollt und mich dafür bezahlt, dann mach ich es eben auch so?
Was kann ich tun? Was würdest du tun?


zurück  zurück