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”Sprich nicht drüber!”

Rezensionen

Jens Riedel in: Der Eppendorfer:
Horst Illiger macht anhand vieler Dokumente nicht nur den Schrecken des Nazi-Regimes noch einmal deutlich. Mindestens genauso erschütternd sind die Feststellungen über die Zeit danach.

Eckhard Heesch in: Dr. med. Mabuse:
Neben der kenntnisreichen Schilderung des Lebens von Fritz Niemand bietet Horst Illiger ein sehr gut recherchiertes zeitgeschichtliches Lesebuch, in dem sich die Darstellungen der einzelnen Lebensabschnitte Fritz Niemands mit dazu thematisch passenden historischen Exkursen abwechseln.

Jörg Kippschull in: WN - Zeitung für alle:
Das Buch fand und finde ich fesselnd von der ersten bis zur letzten der rund 200 Seiten. Ich habe es beim ersten Mal fast ohne Pause durchgelesen. Es ist meiner Meinung nach ein populärwissenschaftliches Geschichtswerk ersten Ranges, sorgfältig recherchiert, seriös und doch spannend.

Annemarie Jost in: socialnet.de/rezensionen
Einführung
Der Sozialpädagoge Horst Illiger, der in Schleswig-Holstein als Referent für den Bereich "Soziale Arbeit für Menschen mit Behinderungen" beim Paritätischen Wohlfahrtsverband tätig ist, hat in diesem Buch den Lebensweg von Fritz Niemand dargestellt, eines Menschen, der 1936 zwangssterilisiert wurde und 1944 in die Tötungsanstalt Obrawalde deportiert wurde. Fritz Niemand hat das Morden an psychisch Kranken im Nationalsozialismus wie durch ein Wunder überlebt; er musste aber bei seinen Versuchen, als Verfolgter des Nazi-Regimes anerkannt und rehabilitiert zu werden, jahrzehntelang immer wieder neue Rückschläge hinnehmen, bis er in den 80er Jahren begann, öffentlich seine Biografie zu thematisieren.

Inhalt
Parallel zur Lebensgeschichte von Fritz Niemand wird die Entstehung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses dargestellt, das am 1.1.1934 in Kraft trat. Als 19Jähriger wird Fritz Niemand gegen seinen Willen in die Provinzial-, Heil- und Pflegeanstalt Schleswig eingewiesen und dort als schizophren diagnostiziert. "Dieser Hölle" - wie er sie nannte, in der er ohne Privatsphäre in Wachsälen untergebracht war, versuchte er zweimal zu entfliehen. In Schleswig wird er 1936 zwangssterilisiert. Das Verfahren wird in dem vorliegenden Buch mit seinen gesetzlichen Grundlagen, den beteiligten Gutachtern, Fotos aus der damaligen Zeit und den gefassten Beschlüssen genau dargestellt.
Anfang der 40er Jahre versucht Fritz Niemand wieder außerhalb der Klinik Fuß zu fassen - in ständiger Angst, erneut eingewiesen zu werden. 1943 kam es dann zu erneuten Klinikaufnahmen. Aus der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf wurde er bald nach Hamburg Langenhorn verlegt, einer Zwischenanstalt für den Transport in den Tod in die Vernichtungsanstalt Meseritz- Obrawalde, wo täglich 30-50 Menschen mit Hilfe von "Todesspritzen" getötet wurden. Parallel zu den grausamen Erfahrungen von Fritz Niemand wird in dem Buch die Tötung psychisch kranker und behinderter Menschen in Gasmordanstalten, durch Giftspritzen und durch Verhungern Lassen ausführlich aufgearbeitet.
Der zweite Teil des Buches widmet sich nun den Erfahrungen von Fritz Niemand von der Nachkriegszeit bis heute. Es beginnt mit der Aufforderung seiner Mutter, über das Erlebte nicht zu sprechen, schildert die Schwierigkeiten von Fritz Niemand wieder beruflich Fuß zu fassen und seine Tuberkuloseerkrankung und behandelt besonders ausführlich die unüberwindbar scheinenden Probleme, als Verfolgter anerkannt zu werden, Entschädigung zu erhalten und die Zeiten der Internierung bei seiner Rentenversicherung (Seekasse) anerkannt zu bekommen. In der ausführlichen Dokumentation wird deutlich, wie viele an der Tötung psychisch Kranker direkt und direkt beteiligter Ärzte wieder als Gutachter und Klinikleiter eingesetzt wurden und wie systematisch verhindert wurde, dass psychisch Kranke als Opfer im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes angemessen berücksichtigt wurden, da das Entschädigungsgesetz nur die Verfolgung wegen politischer Überzeugungen, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung als Verfolgungsgründe vorsah.
Fritz Niemand kämpft unermüdlich weiter und erhält 1981 nach vielen Jahren 5000 DM Entschädigungszahlung für die Zwangssterilisierung, aber sein Rechtsstreit mit der Rentenversicherung bleibt erfolglos. Er selber entschließt sich nach dem Tod seiner Mutter öffentlich als Zeitzeuge aufzutreten und hält Vorträge in Kliniken, bei Tagungen und in Schulen.

Fazit
Das Buch öffnet die Augen für die an psychisch kranken Menschen begangenen Verbrechen und für ihre Schwierigkeit, in den Jahrzehnten nach dem Krieg eine angemessene Rehabilitierung zu erfahren. Es enthält zahlreiche Originaldokumente und arbeitet detailreich einen Abschnitt der Psychiatriegeschichte insbesondere in Schleswig- Holstein und Hamburg auf. Es zeigt auf, wie notwendig und wie spät in Gang gekommen in den 80er und 90er Jahren die Aufarbeitung der Verbrechen an psychisch kranken Menschen während der Nazizeit war und wie bedeutsam es sowohl für Fritz Niemand als auch für die Betroffenen und die Öffentlichkeit war, dass er den Mut hatte, öffentlich über seine Biografie zu sprechen. Andererseits muss der Leser erkennen, dass für viele betroffene Überlebende Rehabilitierung und Entschädigung bis zu ihrem Tod unvollständig blieben.




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