Suche:     

Der alte Mensch im Krankenhaus

Rezensionen

Friedrich Leidinger in: Soziale Psychiatrie:

Seit 1995 veranstaltet das Gerontopsychiatrische Zentrum der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in Gütersloh eine jährliche Fachtagung, die für die Orientierung an Alltagsfragen der Versorgung älterer Menschen mit psychischen Störungen bekannt ist. Der jetzt vorliegende Band versammelt die Beiträge der Tagung vom Frühjahr 2000, bei der nur scheinbar die Psychiatrie thematisch am Rande gestanden hat. Tatsächlich haben die Herausgeber eine in der Gesundheitsversorgung älterer Menschen zentral bedeutende Institution zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen gemacht. Die über 60-jährigen stellen bei weitem die Mehrzahl aller Krankenhauspatienten, was bei der Konzeption und Organisation der Krankenhäuser nicht immer ausreichend berücksichtigt wird. (Allgemein-)Krankenhäuser sind der Behandlungsort für einen großen Teil – nach einigen Untersuchungen der Mehrheit – der psychisch kranken Älteren. Und viele psychiatrische Behandlungskarrieren älterer Patienten haben in einer somatischen Krankenhausabteilung angefangen. Folgerichtig reichen die Themen des Bandes vom Erfahrungsbericht einer Angehörigen über die subtile Untersuchung der Sprache im Pflegealltag bis hin zu Themen wie Nahrungsverweigerung in der Pflege, Chirurgie beim alten Menschen oder Psychotherapie in der Gerontopsychiatrie.
Das Schwerpunktthema der Pflege wird dabei nicht als nur stationäre Krankenpflege missverstanden, sondern umfasst – quasi systemsprengend – auch die vielseitigen Möglichkeiten der Übergangspflege und der Pflege im ambulanten Bereich. Die Beiträge sind oft dialogisch aufeinander bezogen, was dem Leser die Möglichkeit eröffnet, die verschiedenen Facetten der Krankenhausversorgung älterer Menschen in ihren Zusammenhängen nachzuvollziehen. Jeder einzelne Beitrag ist schon für sich anregend und informativ und bietet eine relativ vollständige Darstellung zu Themen wie Schlafstörungen im Alter, Hospizarbeit, psychopharmakologische und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten in der Gerontopsychiatrie, Behandlungsangebote für alte Alkoholkranke und Hilfemöglichkeiten bei besonders schwierigen Alten. Auch Themen von gesellschaftspolitischer Brisanz werden ausführlich behandelt: Gewalt gegen alte Menschen, die Katalysatorfunktion eines stationären Aufenthalts für den Verlust des eigenen Haushalts und die notgedrungene Übersiedlung in ein Pflegeheim oder die Kontroverse über die Euthanasie in den Niederlanden.
Der besondere Reiz des Buches liegt nicht in seinem fachlichen Beitrag zur Dokumentation des altersmedizinischen Wissens, sondern vor allem auch in seiner Erhellung der medizinischen und soziologischen Hintergründe einer Institution, die in den letzten Jahren in der gesundheitspolitischen Debatte vor allem als Kostentreiber identifiziert wird. Gerade angesichts der verhängnisvollen Neigung, Fragen der Gesundheitspolitik wie der Psychiatriepolitik auf einige griffige Aussagen zu reduzieren, ist dieses Buch für Fachleute wie für interessierte Laien ein Gewinn.


zurück  zurück