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Der "Brückenschlag" wird eingestellt.

Leider ist die Brückenschlag-Ausgabe 30, die im Mai 2014 zum Thema "Leben in Nischen" erschienen ist, die letzte.
Die langjährige Brückenschlag-Autorin Sibylle Prins schreibt zum Abschied in der Zeitschrift „Soziale Psychiatrie“:

Bye-bye, Brückenschlag

Eine Ära geht zu Ende. Die Ära des „Brückenschlags“ des Paranus-Verlages, der „Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur, Kunst“. Nach 30 Jahren und ebenso vielen Ausgaben ist im Mai 2014 letztmalig erschienen. Der Verlag sieht sich vor allem aus ökonomischen Gründen gezwungen, das Erscheinen der Zeitschrift, die eigentlich ein themenbezogenes Jahrbuch ist/war, um deren Existenz man schon lange bangen musste, nun einzustellen.
Der Brückenschlag war immer schon etwas Besonderes. Gegründet wurde er vor allem als Forum, um Texte von Psychiatrie-Erfahrenen zu veröffentlichen. Aber nicht nur. Neben ihnen kamen auch Angehörige, Fachleute, Außenstehende zu Wort. Manchmal fand man darin „große Namen“, wie Kurt Tucholsky, aber auch (ggf. damals noch) lebende Koryphäen, wie Siegfried Lenz, Wolfdietrich Schnurre oder Leo Navratil. So war der Brückenschlag nicht nur von Anfang an ein trialogisches, sondern, wie man heute sagt, auch ein sehr „inklusives“ Projekt.
„Ausgebrütet“ worden war die Idee zum Brückenschlag seinerzeit von Fritz Bremer und Henning Poersel – an einem Küchentisch, so heißt es. Von diesem Küchentisch fand er den Weg in viele Hände im ganzen Land, sogar ins Ausland, in viele psychiatrische Einrichtungen und Psychose-Seminare, aber auch in allgemeine Bibliotheken und Buchhandlungen. „Ein Vorreiter der Dialog-Kultur“, wie einer der drei Herausgeber, Hartwig Hansen, den Brückenschlag anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums nannte. Und dieser Dialog findet eben – oder fand, muss man heute sagen – nicht nur innerhalb der sozialpsychiatrischen Szene statt, sondern auch mit anderen Bereichen der Gesellschaft. Denn der Brückenschlag machte Psychiatrie-Erfahrung, psychiatrische Themen, zugänglich für Menschen, die damit keine nähere Berührung hatten.
Eine große Offenheit gab es nicht nur bezüglich der Autor/inn/en, sondern auch die Textformen und -inhalte waren breit gefächert und erfrischend vielfältig. Standen vorne im Brückenschlag meist einige Sachtexte zum jeweiligen Thema des Bandes – auch diese besondere „Leckerbissen“! – folgte danach eine bunte Mischung aus Erfahrungsberichten und anderen autobiografischen Texten, Kurzgeschichten und auch Gedichten. Nicht vergessen werden sollen die vielen, oft farbigen Bilder von zumeist psychiatrieerfahrenen Künstler/inne/n. Vielfalt und Vielseitigkeit waren ein Markenzeichen des Brückenschlags – aber nie wirkte er wie ein beliebiges „Sammelsurium“. Dazu war er zu sorgfältig gemacht. Inhaltlich, aber auch von der ansprechenden äußeren Gestaltung. Und noch etwas: wenn man nach Jahren frühere Brückenschlag-Ausgaben zur Hand nahm – die Texte waren nicht, wie oft bei anderen Jahresschriften, verstaubt oder überholt. Wie es bei wirklich guten Büchern der Fall ist, konnte man sie immer wieder lesen. Und war immer wieder überrascht von originellen Einblicken und Einsichten, Einfällen und Ausdrucksformen. Wobei auch die (sozial-)politischen Aspekte nicht zu kurz kamen.

Für mich spielte der Brückenschlag eine ganz besondere Rolle. Zum einen wurde darin erstmalig in meinem Leben ein Text von mir veröffentlicht. Damals noch unter Pseudonym, denn ich wollte nicht sofort als Psychiatrie-Erfahrene erkennbar sein. Der Text sollte für sich sprechen. Es folgten mehr als 15 Jahre regelmäßige Mitwirkung als Autorin. Inzwischen hatte ich zwar auch andere Foren gefunden, um zu publizieren, aber der Brückenschlag blieb für mich einmalig. Nicht nur wegen der interessanten Themen, die mich jedes Jahr zu neuen, anderen Betrachtungsweisen und Texten inspirierten. Vor allem aber deshalb, weil ich dort nicht darauf festgelegt war, immer psychiatrische oder psychiatrienahe Texte einzusenden. So fand dann auch manches Gedicht den Weg in den Brückenschlag. Darüber hinaus war er jedes Jahr im Mai ein großes Lesevergnügen. Mit der Zeit kannte ich auch eine Reihe von anderen Autor/inn/en, entweder nur von ihren Texten, oft aber auch persönlich. Für mich war er auch die „erste Adresse“, wenn ich andere Psychiatrie-Erfahrene ermutigen wollte, ihre Texte zu veröffentlichen. In einem alten Schlager heißt es: „Wem erzählst du nach mir deine Träume?“ Ich frage mich: wohin schicke ich, schicken wir nach dem Brückenschlag unsere Texte?

Zum Abschied sei den Herausgebern, Fritz Bremer, Hartwig Hansen und Jürgen Blume noch einmal gedankt für ihre jahrzehntelange umfangreiche, sorgfältige und engagierte Arbeit! Und überhaupt für diese Idee und der langen Aufrechterhaltung. Sowie allen anderen Mitarbeitenden des Paranus Verlages für Gestaltung und Herstellung.

Im Jahr 2010 lautete das Thema des Brückenschlags „Abschiede“. Nun ist er damit selbst an der Reihe. Mir wird er sehr fehlen. Vielen anderen auch.


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