Suche:     

Jürgen Seim (Hg.)

Tristitia ante – Geahnte Finsternis

1887 – 1997 Zu Leben und Werk des Dichters Jakob van Hoddis

ISBN 3-926278-07-2
152 Seiten
leider vergriffen  
 

Über das Buch

Vorwort:

Am 100. Geburtstag des Dichters Jakob van Hoddis gedenkt der Verlag Jakob van Hodddis des Mannes, dessen Namen er geborgt hat.
Wir versuchen, an einen Vergessenen zu erinnern. Im vorigen Jahr hat Helmut Hornbogen mit seiner Biografie diese Erinnerung eingeleitet.
Die hier vorgelegten Beiträge verstehen sich als eine Unterstreichung der Arbeit, die Hornbogen geleistet hat.
Die literarische und wissenschaftliche Öffentlichkeit Deutschlands hat eine große Begabung, unbequeme Autoren zu verschweigen. Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 ist ganz offenkundig erfolgreich gewesen. Wie Heine vorhergesagt hatte, wurden nach den Büchern die Menschen verbrannt, und dann wurden die Opfer gründlich vergessen. Es hat in den letzten Jahrzehnten nicht an Versuchen gemangelt, dem Vergessen entgegenzuarbeiten. Aber der gesellschaftliche und wissenschaftliche Trend dreht sich immer noch in die andre Richtung. Die Autoren aus der "Menschheitsdämmerung", die einst mit dem "Weltende" von Hoddis eröffnet wurde, spielen in den Lesebüchern und bei den germanistischen Dissertationen eine nachgeordnete Rolle. Die Opfer der psychiatrischen Verfolgung, zu denen Hoddis zählt, sind bis heute in der Bundesrepublik nicht als Opfer des nationalsozialistischen Unrechts anerkannt. Jüdische Herkunft, wie sie von Hoddis zu berichten ist, erscheint dem sublimen unausgesprochenen Antisemitismus immer noch suspekt. Und die Kirche verwechselt seit 40 Jahren Vergebung mit Vertuschung; sie pflegt eher das Verständnis für die Täter als das Gedenken an die Opfer; und wo sie die Gräber der Propheten schmückt, hört sie doch nicht auf deren Wort.
Wir erinnern dem Trend zum Trotz an einen der Vergessenen. Noch ehe 1914 die deutschen Intellektuellen vom Theologen Harnack über den Mediziner Ehrlich, den Historiker Eduard Meyer, den Physiker Max Plank, den Chemiker Fritz Haber bis zum Schriftsteller Thomas Mann den Weltkrieg begrüßten und die Größe des streitbaren Reiches feierten, hatte Hoddis die "tristitia ante" verspürt, die vorweggenommene Traurigkeit um die Toten in den Stahlgewittern; hatte die geahnte Finsternis beschworen, die aus der Blendung durch das kommende Grauen entstand, aus Grelle und Gram, wie er sagte. Gewiß sprach er in dem Gedicht sehr persönlich von sich: "Meine Nächte, Gefahren, die mir ruhmvoll deuchten, ich hasse, wenn ich einst wachte, wenn ich den Prunk der weißen Huren nahm - ob magrer Prunk mir endlich Lösung brächte." Aber das sprechende Ich deckt mit erschreckender Radikalität das ungelöste Problem "der Städte" auf, also die Fraglichkeit der neuzeitlichen Gesellschaft, deren Grelle blendet und deren Gram angesichts von millionen Toten vorweggenommen wird. Die sich von dieser Vorahnung nachträglich ertappt fühlten, haben ihn dann ermordet; und die heute mit den Mitteln von damals, mit der Wahrung von Ehre und Sicherheit, mit Kriegsdrohung und Selbstdurchsetzung das persönliche wie das gesellschaftliche Leben gestalten wollen, verschweigen den Ermordeten bis heute. An einer Lebensgeschichte wie der von Hoddis wird deutlich, wieviele Schuldkonten unausgeglichen sind: in Germanistik und Geschichte, in Theologie und Psychiatrie, in Justiz, Pädagogik und Politik.

Weil die Opfer ein Recht haben wie alle andern, wo nicht ein größeres, erinnern wir an den ermordeten Dichter.

Wir tun das nach Gesprächen und dem Austausch von Manuskripten untereinander. Darum werden die Leserinnen und Leser keine typischen Beiträge aus einzelnen Fachrichtungen zu lesen bekommen. Die Komplexität von Leben und Werk, Persönlichkeit und Krankheit des Jakob van Hoddis läßt das auch nicht zu. Der Biograf reicht hinüber in die Zeitgeschichte und ihre Moral oder Unmoral; die Germanistin argumentiert psychiatrisch; der Psychiater schreibt lebensgeschichtl ich und philosophisch; der Theologe dilettiert in der Germanistik. In der Begegnung mit dem Menschen und Dichter Jakob van Hoddis haben wir wieder neu gelernt, daß es dem Gang der Weltgeschichte gegenüber, trotz allem, falsch ist, wenn die vielen sich dickfellig verhalten; daß es aber gut ist, wenn einer empfindlich bleibt für Grelle und Gram, obwohl er dann mit äußerstem Leiden bezahlt.

Jürgen Seim

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 7
Helmut Hornbogen: Horch, es klingt der gläserne Tod – Vom Leben und Sterben des Dichters Jakob van Hoddis ... 9
Klaus Dörner: "Erlösung: Lösung ausgelacht" ... 13
UIli Lewe: Ach, zwei Seelen wohnten in meiner Brust ... 57
Sibylle Penkert: "Gedächtnismordung" oder: ",Das Ende, das Eis, die Reinheit und das Nichts" –
Jakob van Hoddis zum Gedächtnis ... 91
Jürgen Seim: Jakob van Hoddis - späte theologische Begegnung mit dem Dichter ... 111

zurück  zurück