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Brückenschlag Band 28, 2012

Leseprobe

Bright Angel
Partytime
Es kommt gut.
Der DJ im Strahlenlicht.
Junge Frauen mit wenig Gewand.
Die Pille beginnt zu wirken.
Er breitet die Hände aus,
ist Gott.
Für vier Stunden.
Dann ist die Party aus,
Plastikbecher und Kippen am Boden.
Die Welt dahinter wartet.
Und er ist wieder nur
ein kleiner Mensch.


Gunther Kruse
Alt gegen Neu
Wie sehr sich die Sicht- und Verfahrensweise in der Suchtkrankenbehandlung verändert hat, ergibt sich aus folgenden Gegenüberstellungen:
Während es früher hieß, der Süchtige müsse den ersten Schritt selber machen, müssen wir heutzutage anerkennen, dass viele Süchtige eben gerade diesen Schritt nicht oder nicht mehr machen können. Glaubte man, dass man dem Süchtigen nichts abnehmen dürfe, was er nicht noch selbst erledigen könnte, so muss man anerkennen, dass viele vor Beginn ihres übermäßigen Trinkens schon viele Dinge aufgrund ihres sozialen Rückstandes nicht erledigen konnten. Die Meinung, mit Zwang gehe gar nichts, alles müsse auf Freiwilligkeit beruhen, muss dahingehend korrigiert werden, dass ohne Druck, woher auch immer der rührt, kein Mensch sich ändert oder sich neue Funktionskräfte zulegt. Die Auffassung, der Alkoholiker müsse eigenmotiviert sein, ist als ein Phantom zu beschreiben, denn kein Mensch würde aufhören zu trinken, wenn er nicht müsste, aus welchem Grund auch immer. Wenn es heißt, Fremdmotivation sei vom Übel, so wäre es ja Quatsch, Suchttherapeuten auf die Patienten anzusetzen, denn die Fremdmotivation ist ja ein Teil unseres täglichen Tuns und wird nach Psychiatrie Personalverordnung von den Krankenkassen bezahlt.
Den üblen Aspekt, dass man auf dem Tiefpunkt angekommen sein müsse, dass erst dann eine Umkehr möglich sei, muss man dahingehend korrigieren, dass auf Biegen und Brechen der Tiefpunkt umgangen werden muss, denn wenn man den erreichen will, müsste man einen Hirnschaden, eine Leberzirrhose erzielen, arbeitslos und familienfrei sein.
Die Auffassung, dass Suchtpatienten grundsätzlich tricksen, lügen und betrügen, ist vielleicht dahingehend zu erweitern, dass dies nicht nur auf Suchtpatienten zutrifft, sondern auf viele Patienten in der Psychiatrie, aber auch auf die sonstige Menschheit, dafür braucht man gar nicht auf die politische Szene oder Bankmanager zurückzugreifen.
Die These, dass beim Alkoholiker Alkohol das eigentliche Problem sei, unterstellt, dass man ohne Alkohol kein Problem mehr habe, sollte aber dahingehend korrigiert werden, dass der spätere Alkoholiker auch in der Frühphase seines Trinkens schon problematisch war, neurotisch, schwer erträglich, ungenießbar, auch humorlos gewesen sein mag, kurzum ein furchtbarer Mensch.
Darauf anspielend habe ich von Kisker die kritische Frage im Kopf, was denn die Trockenlegerei bezwecke bzw. mit welchen Folgen hier zu rechnen sei. Er spielte damit an auf das sich hinter dem offensichtlichen Alkoholproblem versteckende eigentliche psychiatrische Problem oder auf die bei krampfhafter Trockenheit sich entwickelnden psychosomatischen Erkrankungen, aber auch, und damit sprach er mir aus der Seele, auf die seelenlose, ideenarme, verhärmte, freudlose Gesamtsituation eines abstinenten Sozialhilfeempfängers, der seine ganze grauenhafte gesellschaftliche Dyspositionierung nun auch noch nüchtern ertragen sollte.
Immerhin gibt es ja nun neben der üblichen rechtlichen abstinenzorientierten Betreuungssystematik auch noch eine, die zwar gegeißelt wird mit dem Begriff des „Betreuten Saufens“, tatsächlich aber, milder ausgedrückt, eine wohlwollend beobachtete Konsumvariante darstellt, in der erwachsene Menschen keine Angst mehr haben müssen, wenn sie ein Sozialarbeiter besucht, sie deshalb den Schnaps verstecken müssen, um einer Klinikeinweisung zu entgehen.
Damit nicht der Eindruck entsteht, ich würde dem Alkoholismus und der Fortsetzung fehlerhaften Trinkverhaltens das Wort reden, müssen wir Robert Gernhardt aufgreifen, der auf Gefahren des Alkoholtrinkens selbst beim Dichten hinweist:
„Seht ihn an den Dichter,
trinkt er, wird er schlichter.
Ach, schon fällt ihm gar kein Reim,
auf das Reimwort ‚Reim’ mehr eim.“



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