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Brückenschlag Band 29, 2013

Leseprobe

Svenja Bunt

Was tun gegen die Einsamkeit

Unter psychosebedingter Einsamkeit leidet – leider Gottes – so gut wie jeder psychosekranke Mensch, zumindest phasenweise. Aus eigener Erfahrung kenne ich Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, wie die Fachleute sagen würden, und die meine ich hier. Menschen mit einer solchen Psychose sind sehr oft zumindest phasenweise einsam.
Das Ziel – bewusst oder unbewusst – ist aber Recovery, also hohe Lebensqualität und Gesundung. Der sicherste Gradmesser für Recovery ist, meiner Meinung nach, die Art und Weise unserer Beziehungsgestaltung. Sie ist eine Art Navi, damit wir auf unserem Recovery-Weg nicht in die Irre gehen. Ganz konkret: Wer keine persönlichen Freunde hat oder überhaupt Kontakte, die ihm gut tun, der wird es schwer haben. Wer dagegen gute Freunde und harmonischen Kontakt mit der Familie hat, wer mit einer Fülle von verschiedenen Menschen zurechtkommt, der ist auf einem guten Recovery-Weg.
Unter Beziehungen verstehe ich hier jede zwischenmenschliche Beziehung, so auch mit Freunden und Bekannten, Kollegen und Psychiatern und so weiter. Warum sind diese Beziehungen für psychosekranke Menschen aber nun so schwierig? Ängste zerstören Beziehungen, Probleme mit Vertrauen zerstören Beziehungen. Viele von uns verlieren wichtige Kontakte schon mit der Ersterkrankung. Die Lebensumstände vieler psychosekranker Menschen, vor allem Arbeitslosigkeit und Armut, machen gute Kontakte mit bestimmten Teilen der Bevölkerung schwierig: Die mögen uns eben nicht.
Müssen psychosekranke Menschen einsam sein? Die Antwort ist ganz klar: Nein!
Es gibt viele, die ihre phasenweise Einsamkeit überwinden. Aus der Erfahrung solcher Menschen möchte ich hier ein paar Tipps formulieren, die bei psychosebedingter Einsamkeit helfen können.

1. Zuerst ein kurzfristig umsetzbarer Trick.
Wer alleine lebt und sich in seiner Wohnung einsam fühlt, sollte sich einen Lieblingsradiosender suchen und öfter mal das Radio anmachen. Dieser Trick funktioniert über psychosebedingte Wahrnehmungsmuster: Nach einiger Zeit mit dem Lieblingssender denkt man, dass die Radiosprecher Bekannte sind, die speziell für mich das Programm gestalten. Wenn dann die Musik noch schön ist … So fühlt man sich in seiner Wohnung nicht so einsam. Dies kann ein harmloser Weg sein, um etwas Leben in die Wohnung zu bekommen. Vorsicht aber bei akuten Krankheitsphasen: Dann ist es besser, das Radio auszumachen.

2. Jetzt ein Tipp zur kommunikativen Grundausstattung.
Auch wenn das Geld knapp ist, sollte man ein Telefon mit Flatrate, eine E-Mail-Adresse und regelmäßigen Zugang zum Internet haben. Es gibt bei vielen Anbietern auch eine preiswerte Flatrate für ein Handy ohne Vertrag und in Bibliotheken kann man oft für sehr wenig Geld ins Internet gehen. Ein gebrauchter Laptop kostet heute nicht mehr viel oder manchmal schenkt einem jemand einen brauchbaren. Und auch die monatlichen Kosten für einen Internetanschluss zu Hause sind gering. Ohne diese heute überall üblichen Kommunikationsmittel ist es sehr schwierig, aus der Einsamkeit herauszufinden.

3. Was aber tun, wenn man nur wenige Kontakte hat?
Es hilft gegen die Einsamkeit, wenn man an Veranstaltungen teilnimmt, wo man mit anderen zusammen etwas macht, ohne diese näher zu kennen. Wie wäre es etwa, zum Gottesdienst zu gehen oder in eine öffentliche Bibliothek, einen Eiskaffee in einem schönen Café zu trinken, mal im Fitnessstudio mitzumachen oder auch nur mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt zu fahren: Man sieht andere Menschen, schnappt Gesprächsfetzen auf oder macht etwas gemeinsam. Und schon fühlt man sich weniger einsam.

4. Und ganz ohne alle Kontakte ist doch niemand.
Es hilft gegen die Einsamkeit, wenn man die vielleicht wenigen Beziehungen, die man hat, gut gestaltet. Man muss sich nicht immerzu mit der Mutti streiten, man kann sich auch um eine schöne und harmonische Beziehung mit ihr bemühen – auch wenn Mutti nicht perfekt ist. Man kann seinem Psychiater eine Weihnachtskarte schicken oder eine E-Mail oder einfach einmal anrufen, auch wenn es sich nicht um einen Notfall handelt. Vielleicht freut er sich sogar darüber. Das Ziel sollte sein, dass die Kontakte, die man hat, gut und konfliktarm sind. Wenn bestimmte Kontakte nicht gut sein können, dann sollte man sie auf ein Minimum beschränken – getreu der Devise love it or leave it.

5. Und wir brauchen mehr Kontakte.
Neue Kontakte gewinnt man am besten über Aktivitäten. Wenn man arbeitslos ist, wäre doch ein Ehrenamt eine super Sache. Mit etwas Glück trifft man dort Menschen mit den gleichen Interessen, die einen wertschätzen und zu guten Freunden werden können. Ein Sportverein ist auch eine gute Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Wenn man in dem Sportverein gut mitmacht, gibt es dort bestimmt jemanden, der Interesse an einem weiteren Kontakt hat. Wenn man an einer neuen Aktivität teilnimmt, an der man wirkliches Interesse hat, ergeben sich oft auch neue Kontakte. Dies kann der Beginn von Freundschaften sein.

6. Und wie sieht es aus mit anderen psychisch kranken Menschen?
Innerhalb der Psychiatrie bieten Psychoseseminare oder Selbsthilfegruppen eine gute Möglichkeit für Kontakte. Abzuraten ist von Beziehungen, in denen man ständig sein bisschen Geld verleiht oder sich zankt oder bei anderen kranken Menschen auf der Couch übernachtet. Diese Art von Beziehungen innerhalb der Subkultur psychisch kranker Menschen helfen nicht wirklich. Es ist gut, wenn man Kontakte mit anderen kranken Menschen hat – aber bitte auf hilfreiche Weise.

7. Mit welcher Grundeinstellung kann ich Freunde gewinnen?
Offenheit hilft, um die Einsamkeit zu überwinden. Wenn man zumindest ein oder zwei Menschen hat, mit denen man über seine Träume, seine Hoffnungen, seinen Lebensentwurf offen sprechen kann, ist man nicht mehr einsam. Wenn Sie anderen offen begegnen, ihnen erlauben, Sie kennenzulernen, und wenn diese Ihnen dann freundschaftlich gesonnen sind – dann sind Sie nicht mehr einsam. Ziel einer guten Freundschaft sollte sein, dass beide einander gut kennenlernen und so mögen, wie sie wirklich sind.

8. Aber welche Menschen wären gute Freunde für mich?
Die besten Freunde sind Menschen, die vielfältige Lebenserfahrung haben, die selbst vielleicht in irgendeiner Hinsicht nicht dem Durchschnitt entsprechen. Wir müssen besondere Menschen suchen, die nicht schreiend davonlaufen, wenn wir ihnen sagen, dass wir eine Psychose haben oder hatten. Es gibt viele Menschen mit offenen Herzen. Solche Menschen brauchen wir zu Freunden.

9. Und was machen, wenn bestimmte Arten von Beziehungen regelmäßig scheitern?
Sich mit den eigenen Grenzen auszusöhnen hilft, um zu wissen, welche Art von Kontakt ich überhaupt brauche, damit ich mich nicht einsam fühle. Brauche ich einen Partner oder einfach ein, zwei gute Freude? Einen großen Bekanntenkreis oder lieber einige wenige, sehr harmonische Beziehungen? Welche Art von Beziehung tut mir gut, welche schubst mich über meine Grenzen? Hier ist es wichtig, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen, anstatt vom vermeintlich Normalen auszugehen. Derjenige, der weiß, was er braucht, um nicht einsam zu sein, kann daran arbeiten, dass er bekommt, was er braucht.

10. Wie sollen diese Beziehungen mir helfen?
Für psychosekranke Menschen ist es gut, wenn sie zumindest ein oder zwei Beziehungen haben, in denen sie nach einem Rat fragen können. Das ist schwierig aufgrund der Ängste. Es hilft, wenn man darüber nachdenkt, ob man einer bestimmten Person vertrauen kann, und – wenn dem so ist – sich deutlich zu sagen: „Person X kann ich vertrauen. Er/sie will mir nichts Böses.“ Hoffentlich lässt sich dies dann tief in der eigenen Seele verankern.

11. Aber was ist mit diesen Ängsten?
Wenn doch Ängste entstehen, sollte man versuchen sich an schöne Zeiten zusammen zu erinnern. Man sollte sich einfach daran erinnern, dass man noch vor zwei Tagen bewusst gedacht hat: „Diese Person ist ein guter Freund.“ Man sollte auch versuchen, diese Ängste mit einem anderen Menschen zu besprechen. Alleine im Aussprechen dieser Sorgen verfliegt vieles.

12. „Das alles hilft mir nicht – was soll ich nur machen?“
Wenn all diese Tipps nicht verfangen, sollte man die Ursachen der eigenen Einsamkeit mit jemandem besprechen. Psychosebedingte Einsamkeit kann im Einzelfall verschiedene Gesichter haben: Manch einer hat kaum Beziehungen, ein anderer nur oberflächliche oder solche, die ihm nicht gut tun, wieder ein anderer hat Beziehungen, die nicht auf gegenseitiger Wertschätzung beruhen. Das kann jeweils sehr verschiedene Ursachen haben. Manchmal muss man auch erst noch weiter an sich arbeiten, bevor man gute Beziehungen gestalten kann. Wichtig ist nur, dass man nicht aufgibt. Gute Beziehungen sind das Fundament einer jeden Recovery-Geschichte. Wer trotz einer Psychose etwas aus seinem Leben machen möchte, der sollte sich auf die Suche nach guten wertschätzenden Beziehungen begeben.

13. Ein letzter Tipp:
Wenn Sie es geschafft haben und einige wunderbare Menschen als Freunde gewonnen haben, seien Sie stolz auf diese und zeigen Sie ihnen das.

Also: Psychosekranke Menschen müssen nicht einsam sein. Wir können das schaffen, die Einsamkeit zu überwinden. Manchmal ist das allerdings mit einem jahrelangen Entwicklungsprozess verbunden. Man braucht also Geduld: mit sich selbst und mit der Welt.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich ein Netz von Freunden und Unterstützern aufbauen können, das sie so trägt wie der Ozean ein Segelboot trägt, das der Sonne entgegensegelt.


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