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Tagtraumzeit – Nachdenkzeit – Lächelzeit

Leseprobe

Ratschläge zum Unglücklichbleiben

Lieber Sven,
Du hast mich neulich in Deinem unnachahmlichen „Was soll ich denn machen?“-Tonfall danach gefragt, was Du tun könntest, um in dem Unglück, das durch Deine psychische Krise entstanden ist, möglichst lange und gründlich stecken zu bleiben. Kurz, wie Du alles falsch machen kannst. Dazu will ich Dir gerne ein paar bescheidene Anregungen aufschreiben:

Höre grundsätzlich nicht auf Ratschläge!
Meine Tante gab mir einmal den Rat: „Nimm niemals Ratschläge von anderen Leuten an!“ Dieser Universal-Ratschlag trifft ins Schwarze, Du solltest ihn unbedingt beherzigen. Denn andere Leute haben prinzipiell keine Ahnung. Prüfe also nicht, von wem der Ratschlag kommt, ob das ein dummer oder kluger Mensch ist, ob er/sie gut oder schlecht im Leben zurechtkommt, ob der Ratgeber Lebenserfahrung hat, ob der Ratschlag zu Dir passt und eventuell umsetzbar wäre – nein, weise das alles von Anfang an energisch zurück! Schließlich hast Du die Weisheit gepachtet, und das chinesische Sprichwort „Nicht der ist weise, der einen guten Ratschlag geben kann, sondern der, der ihn annehmen kann“, ist natürlich fernöstlicher Quatsch.
Eine besonders raffinierte Variante, die Du beherzigen könntest, ist es, erst Ratschläge von anderen einzufordern, dann aber mit höchst komplizierten Begründungen zu erwidern, weshalb das alles für Dich absolut nicht durchführbar sei. (Übrigens: Das ist meine Lieblingsvariante.)
Gehe auch grundsätzlich davon aus, dass andere Menschen Situationen anderer – genauer: Deine Situation – per se falsch einschätzen und sie kein Einfühlungsvermögen haben. Im besten Fall sagst Du ihnen das auch offen und vehement.
Falls Dir das nicht so liegt, kannst du natürlich auch ins andere Extrem überwechseln (dieses ist, in vielerlei Hinsicht, sowieso die allerbeste Strategie). Gehe dann davon aus, dass alle anderen völlig recht haben, und nur Du zu dumm und zu unfähig bist, die vielen guten Ratschläge alle zu befolgen. Gehe also den ganzen Tag tief gebückt unter der Last der Vorschriften, Verhaltenstipps und aufgenötigten Hilfestellungen und fühle Dich bitte enorm schuldig und unzulänglich. (...)


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