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Die Wanderung

Leseprobe

Ich suche keinen professionellen Helfer, ich suche einen Bundesgenossen.

Wenn du offen und ehrlich bist, kann ich lernen, dir zu vertrauen.
Wenn du mich respektierst als Experte in meinem eigenen Körper und Leben,
kannst du mit meiner aktiven Mitarbeit rechnen.
Wenn du mir zuhörst, höre ich auch dir zu.
Wenn du mir genĂĽgend Raum gibst, teffe ich meine eigene Wahl.
Wenn du nicht meine Grenzen ĂĽberschreitest, lerne ich diese vielleicht auch zu respektieren.
Wenn ich die Kontrolle verloren habe, hilfst du mir suchen.
Wenn du mir vertraust, dann baue ich Selbstvertrauen auf.
Wenn du nicht zu streng bist mit meinen Fehlern, tue ich das auch nicht.
Wenn du deine Grenzen deutlich zeigst, kann ich lernen, diese zu respektieren.
Wenn ich dich nötig habe, weiß ich, wie ich dich finden kann.
Und wenn ich nichts mehr zu tun haben will mit der ganzen Welt, dann mache ich fĂĽr dich eine Ausnahme!

Marlieke de Jonge (ehemalige Patientin)


„Spezialisten der Geduld“ – die professionellen Helfer werden echte Profis

(aus dem Kapitel 5: Die trialogische Biografie)

Jetzt kommt wohl der schwierigste Teil der Triade – die professionellen Helfer.
Wie ringen wir als Helfer um uns selber, wie ringen wir um die richtige Haltung miteinander?
Auch fĂĽr uns war das das Schwierigste ĂĽberhaupt: Wie gehen wir als Helfer am besten um mit den chronischen Patienten und ihren Familien?
Der Ausgangspunkt wurde, dass wir ohne Wenn und Aber für den Anderen sorgen wollten. Das erforderte Empathie, Ausdauer und viel Geduld. Der erste große Schritt, den ich im Umgang mit Bert und seiner Familie gemacht habe, war: Den Abstand und die Ungleichheit zueinander zu vermindern oder sogar abzubauen. Ich brauchte mich nicht zu verstecken hinter meiner Fassade als Psychiater und tat dies auch nach einiger Zeit des Gewöhnens nicht mehr.
Ich selber fĂĽhlte mich dann auch freier und echter und das konnte ich auch bei Bert und seiner Familie spĂĽren.
Aber vor allem die sympathische Art und Liebenswürdigkeit von Bert hat mir dabei sehr geholfen – ich war froh, wenn ich mit ihm sprechen konnte. Er war in der Regel spontan, offen und freundlich – er hatte auch immer etwas Schönes zu erzählen, von zu Hause, von Eric und von der „Kunst“.
Ich freute mich auch, wenn ich mit der Mutter von Bert sprechen konnte – eine stolze Frau mit tiefen und ehrlichen Gefühlen, die sie mit der Zeit auch mir zu zeigen begann. Das half auch mir, echter und offener ihr gegenüber zu werden.
Aus meiner angelernten „Behandlungshaltung“ wurde nach und nach – wie beschrieben – eine Haltung des Verhandeln und des aktiven Handelns im Alltag.
Die Subjektivät der Helfer wird von den Patienten und ihren Familien mehr geschätzt als das rein professionelle Wissen und Handeln. Dies ist wohl etwas provokativ formuliert, aber ich meine Folgendes damit: Es ist natürlich auch im Verhältnis zwischen einem Helfer und einem Patienten sehr wichtig, wie man einander begegnet – als Person, als Subjekt – in unserem Falle Bert Boers und Detlef Petry oder mit dem Abstand von Titeln und Berufsgruppen. Auf den direkten und gleichwertigen Kontakt reagieren die Patienten im Laufe der Zeit viel freier und froher – ich würde lügen, wenn es bei mir nicht auch so wäre.
Erst wenn dieser subjektive, menschliche Kontakt „stimmt“, wenn es also „klickt“, dann sind natürlich auch das Wissen und die Fähigkeiten der Helfer in seinem spezifischen Fach sehr gefragt – und der Helfer muss gut auf der Höhe seines Fachgebietes sein. Das wiederum hilft ihm, zum Patienten auch direkter und offener zu sein – eine reine „Fassade Psychiater“ zum Beispiel ist dann eher lächerlich!
Wenn ich als Psychiater einem Patienten Medikamente verschreiben möchte, ist das Rezept-Ausstellen das Wenigste.
Erst muss zwischen uns die „Chemie“ stimmen, dann kann ich erklären, warum ich eigentlich möchte, dass mein Gegenüber Medikamente nimmt. Dann muss der Patient erst gut über das Medikament informiert werden und dann muss er noch die Zeit bekommen, um darüber nachzudenken. Dieser Weg ist natürlich länger und mühsamer als eine Unterschrift unter ein Rezept, aber gleichwertiger und fair – und letztendlich ist dann auch die „Therapietreue“ (Compliance) viel höher.

Dann sollte jeder individuelle Helfer eingebettet sein in ein multiprofessionelles Team – ein Kollektiv, in dem ein gutes Gleichgewicht bestehen muss zwischen der Subjektivität und der Professionalität. Man kann natürlich diese langen Prozesse, auch in dieser Vielfalt, niemals alleine gestalten und durchhalten – mehrere Menschen mit der gleichen Haltung müssen diese Wege gemeinsam gehen. Auch das Zusammenwachsen eines solchen Teams benötigt viel Zeit. Das war auch für uns hier in Maastricht in den ersten Jahren ein sehr schwieriges Unterfangen und es verlangte von uns Helfern viel Geduld und Respekt, auch zueinander als Helfer und nicht nur gegenüber den Patienten und ihren Familien. Diese gemeinsame Veränderung der Haltung geschieht am besten in der täglichen Praxis – „in der Arbeit mit den Patienten selber“.
Am Beispiel von Bert ist das hoffentlich deutlich geworden – beim Beispiel seiner täglichen Rituale hatten wir, die unterschiedlichen Helfer, anfangs keine Antwort auf dieses Problem. Wir hatten wohl alle das Anfangsgefühl, nicht zu schnell etwas ändern zu wollen.
Vor kurzem hat mich jemand einmal als „Spezialisten der Geduld“ bezeichnet – ich ahne wohl, was diese Person meinte.



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