Suche:     

Aufbruch der Heime

Leseprobe

Gebrauchsanweisung:

KLaus Dörner

Dieses Buch möchte gelesen werden von allen Leuten, die in Heirnen arbeiten. Also von allen Krankenschwestern und -pflegern, Sozialarbeitern, Psychiatem, Pädagogen, Beschäftigungstherapeuten und anderen Mitarbeitern, die für die Letzten und Schwächsten in unserer Gesellschaft dasein wollen, gleichgültig ob sie wegen ihrer psychischen Erkrankung, ihrer geistigen oder körperlichen Behinderung, ihrer chronischen Sucht und/oder wegen ihres Alters zu den Hoffnungslosen und Unheilbaren gerechnet werden, jetzt "nur noch" Heimbewohner sind.
Das Buch möchte Mut machen und zeigen, wie man sie lieben und dadurch erreichen kann, daß buchstäblich noch der letzte Heimbewohner zu einer Fülle von Lebenschancen findet und sagen kann: "Von meinem Heim aus hat mein Leben erst so richtig angefangen. Deshalb ist das Buch auch gut für alle, die in der Heim-Trägerverwaltung tätig sind, für manche Bewohner selbst, vor allem auch für ihre Angehörigen, Vormünder/Betreuer und überhaupt für alle, die mit chronisch Kranken und Behinderten zu tun haben wollen.

Dieses unser "Heimbuch" wurde ausschließlich von Leuten geschrieben, die selbst langjährig, voll- oder teilzeitlich, Heim-Mitarbeiter sind oder waren - als Krankenschwestern und -pfleger, Sozialarbeiter und Psychiater. Wir haben also nicht über das Arbeiten im Heim geschrieben, sondern wir haben unser eigenes Arbeiten beschrieben. Deshalb haben wir das Buch in der Sprache geschrieben, die wir auch selbst im Heim sprechen. Das ist ganz schön schwer, macht die Sache aber glaubwürdig und verständlich, wie der Leser hoffentlich bestätigen wird.

Warum heißt das Buch "Aufbruch der Heime"? Weil wir glauben, daß seit etwa Mitte der 80er Jahre die Heime in der Tat im Aufbruch sind. Seit 1970 gab es allerlei psychosoziale Reformen, auch die Psychiatriereform. Zwar haben diese Reformen die ambulanten Betreuungsmöglichkeiten und die Krankenhäuser besser gemacht; sie hatten aber auch ihre Opfer: Menschen, die nicht so gut in die Reform konzepte paßten, zu hoffnungslos und zu therapieunfähig waren und daher in Heime "abgeschoben" wurden. Jetzt aber ist der Funke der Reform auf die Heime übergesprungen. Die Heime sind in Bewegung geraten. Deshalb kann es gerade heute Spaß machen, ausgerechnet im Heim zu arbeiten. Alle Heime - natürlich mit unterschiedlichem Tempo - sind heute dabei, sich in ihre Gemeinde, in ihre Kommune zu integrieren. Sie arbeiten in ihren regionalen "Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften" mit, verflechten sich mit den übrigen ambulanten und stationären Hilfsangeboten. Sie nehmen nur noch Bewohner aus ihrer Region, aus ihrem Einzugsbereich auf. Sie lernen ihre Bewohner von innen heraus, aus ihren jeweiligen Lebensgeschichten kennen. Sie schaffen heiminterne Wohngruppen, legen sich ausgelagerte Wohngruppen zu und entlassen andere Bewohner in unterschiedliche Formen des selbständigen oder betreuten Wohnens, finden Anschluß an Behinderten-Werkstätten oder Selbsthilfefirmen. Die Heimmitarbeiter arbeiten in Vereinen für ambulante Betreuung mit oder gründen selbst solche Vereine. In diesem Aufbruch, in dieser Fortentwicklung sind die Heime vor allem deshalb besonders glaubwürdig, weil nur sie sagen können, daß sie die ihnen anvertrauten Menschen nicht noch weiter irgendwohin abschieben. Sie sind nun mal das letzte Glied in der Kette. Da aber jedes System nur so gut ist wie sein letztes Glied, entscheidet sich am Aufbruch der Heime, wie schlecht oder wie gut die gesamte psychosoziale Reform unserer Gesellschaft ist.

Lieber Leser, wir möchten Ihnen jetzt nahebringen, was die einzelnen Kapitel dieses Buches beabsichtigen. Jeder Mensch ist immer in Entwicklung, solange er lebt, gleichgültig ob er im Heim bleibt oder ob er sich noch einmal aus ihm fortentwickelt. Diese Erfahrung, daß wir uns immer in Entwicklung befinden, kennen Sie von sich selbst und von Ihren Familienangehörigen. Jedes einzelne Kapitel dieses Buchcs geht vom stinknormalen Heimalltag aus und entwickelt aus diesem Alltag Perspektiven, neue Möglichkeiten und damit Freude an der Arbeit - aber jeweils unter anderen Aspekten.
Das 1. Kapitel stellt den Gesamtrahmen des Heimalltags mit seinen Möglichkeiten der Fortentwicklung sowohl des einzelnen Bewohners als auch des ganzen Heims dar.
Das 2. Kapital beschreibt, wie Sie selbst sich im Umgang mit dem Bewohner weiterentwickeln.
Kapitel 3 lüftet das Geheimnis, wie Sie noch die kleinsten Dinge des Alltags bedeutsam machen können.
Im Interview des 4. Beitrags erleben Sie, wie beim "Aufbrechen" auch Sie selbst sich ändern.
Das 5. Kapitel verrät Ihnen, welche Überraschungen und Geschenke gerade der "schwierige Bewohner" für Sie bereit hält.
Danach schicken wir Sie im 6. Kapitel zur Belohnung nach Italien, um Sie für die wundersamen Wirkungen eines Urlaubs mit Bewohnern zu animieren.
Das Märchen des 7. Beitrags erzählt Ihnen, daß Sie zu den tragfähigen Hoffnungen am besten dadurch kommen, daß Sie erstmal das Tal der Hoffnungslosigkeit durchschreiten.
Danach erfahren Sie im 8. Beitrag, was gute Pflege sein kann, während Sie im 9. Kapitel lernen können, wie man sich seinen Heim-Psychiater erzieht, was freilich nur dann gelingen kann, wenn dieser nicht nur ambulant mal vorbeischaut, sondern teilzeitlich ein Teil des Teams ist.
Kapitel 10 verrät Ihnen, welche geheimnisvollen Vorteile die Gründung eines eigenen Vereins hat, wie dies Ihren Spaß an der Heimarbeit aufrechterhält und Sie vor Betriebsblindheit und Heimhospitalismus schützt.
Dann lernen Sie noch im 11. Kapitel kennen, wie Sie sich selbst zum Wissenschaftler für Ihr eigenes Heim machen können und wie Sie mit einem einfachen wissenschaftlichen Instrument die Wirksamkeit Ihres Aufbrechens, Ihrer Fortentwicklung messen können.
Im letzten Kapitel haben wir schließlich ein paar für jedes Heim typische Problemsituationen beschrieben, um Sie zu ermuntern, durch Diskussion dieser "Lernfälle" in Ihrem Heim-Team über dieses Buch hinaus weiterzudenken.

Wir widmen dieses Buch allen Mitarbeitern des Sozial werks St. Georg -auch anläßlich seines 25-jährigen Geburtstags 1991. Wir alle nämlich sind oder waren Mitarbeiter des Sozialwerks St. Georg, das in Westfalen über 30 Heime betreibt, haben uns mit allen anderen Mitarbeitern für schlimme Fehler geschämt, haben zusammengesessen und um neue Wege gerungen und haben voller Bewunderung wahrgenommen, mit welchem Engagement für die Letzten und Schwächsten unserer Gesellschaft diese St. Georgs-Heime aus der tiefsten Krise gelernt und in wenigen Jahren ungeahnte Möglichkeiten des Aufbruchs und der Fortentwicklung gefunden haben.


zurück  zurück