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Mein Leben in zwei Welten

Leseprobe

Vorbemerkungen

Liebe Leserin, lieber Leser, darf ich Sie einladen? Einladen zu einer Reise in Gegenden des menschlichen Geistes, die so vielfältig und farbenfroh sind wie die Frühlingsblüte in der Wüste, kurz nachdem der Regen fällt? Normalerweise ist die Wüste, etwa im kalifornischen Death Valley verbrannt und eintönig, so heiß wie kein anderer Ort auf der Welt. Doch manchmal blüht diese Landschaft auf. Im Frühjahr etwa gibt es ein paar Tage, in denen es in dieser Wüste kräftig regnet. Dann können Sie eine Blütenpracht erleben, die ihresgleichen sucht. So ähnlich geht es manchem Schizophrenen. Er erlebt kurze, blühende Momente der Psychose, in denen teilweise ein berauschendes Lebensgefühl vorherrscht, aber auch lange Phasen der Depression, die sich anfühlen wie der Kater nach einer durchzechten Nacht.
Dieses Buch soll ein Reiseführer sein in das Land jenseits dessen, was die meisten von uns »normal« nennen. Sie sollen Seiten des menschlichen Geistes kennenlernen, die Sie bisher noch nicht kannten. Wenn Sie sich ein Bild machen möchten davon, wie etwa ein Prozent der Bevölkerung – nämlich die, die man als »schizophren« bezeichnet – denkt und empfindet, dann sind Sie hier genau richtig. Genaugenommen kann ich nicht für dieses eine Prozent der Bevölkerung sprechen, aber ich kann von meinen eigenen Erlebnissen berichten. Ich kann Sie entführen in die Abgründe und Höhen meines Denkens und Fühlens. Denn ich bin einer von ihnen, ich bin schizophren.
Seit nunmehr achtzehn Jahren lebe ich mit dieser Krankheit, und sie ist für mich mittlerweile wie ein alter Bekannter – immerhin verbringen wir jede Minute miteinander. Ich habe Episoden mehr oder weniger schwerer Anfälle hinter mich gebracht, und ich kann Ihnen zeigen, wie die Schizophrenie ein angenehmes, weitgehend positives Leben nach und nach zerstört. Ich will Ihnen aber auch berichten, wie man aus dem Sumpf dieser Krankheit wieder herauskommt und zumindest über weite Phasen ein nach außen hin ganz normales Leben führen kann. Denen, die zum Glück nicht selbst betroffen sind, möchte ich ein Bild vermitteln, wie es sich anfühlt im Auge des Sturms, und gleichzeitig möchte ich allen Betroffenen und Angehörigen Hoffnung geben, dass das Leben auch mit und trotz dieser Krankheit lebenswert sein kann.

Vor dem Beginn meiner Krankheit war ich ein vielversprechender junger Naturwissenschaftler, der am Beginn einer steilen Karriere stand. Ich habe in den angesehensten Fachzeitschriften veröffentlicht und mit renommierten Wissenschaftlern zusammengearbeitet. Doch dann kam sie, die Krankheit, und sie hat mein Leben zunächst ruiniert. Ich bin von Zügen gesprungen, vor meinen vermeintlichen Verfolgern davongelaufen, und ich bin in meiner eigenen verrückten Welt nach und nach verwahrlost. Davon möchte ich Ihnen erzählen. Doch ich möchte Ihnen auch davon erzählen, wie ich es schaffe, trotz meiner Krankheit meinen Alltag zu meistern. Zugegeben, es fällt mir heute schwerer als vor achtzehn Jahren, aber ich kann ganz normal leben.
Am Ende dieser Reise, auf der Sie mich begleiten, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, was ich in den letzten Jahren über die Krankheit Schizophrenie gelernt habe. In einem kurzen Anhang lege ich meine Theorie zum Wesen der Schizophrenie dar. Ich hoffe, Sie gewinnen dadurch ein noch besseres Bild von dieser Krankheit und ihrer Auswirkung auf die Menschen, die an ihr leiden.
Doch beginnen wir mit der Person, welche die Hauptrolle in dieser Geschichte spielt: mit Ralf. Ralf, das bin ich. Ich schreibe teilweise in der dritten Person, weil ich über weite Phasen meines Lebens ein mir fremdes Wesen bin. Sie werden das verstehen, wenn Sie diese Geschichte gelesen haben. Ralf ist in ihrem Hauptteil ein junger, aufstrebender Wissenschaftler von dreißig Jahren, den seine Arbeit nach Spanien verschlagen hat. Dort nimmt sein Leben eine radikale Wende. Dort bricht seine Krankheit endgültig aus, die Schizophrenie. Wer also ist Ralf?


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