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Druck im Quartier

Leseprobe

Editorial

„Ein rollender Stein setzt kein Moos an.“
So hieß die Broschüre, mit der sich freiraum hamburg e.V. vor fünf Jahren der Öffentlichkeit vorstellte. Damals, im Frühjahr 1994, hatten zwei Gesundheitsräume von freiraum hamburg e.V gerade ihren Betrieb aufgenommen, und offen durfte nicht ausgesprochen werden, was dennoch jeder Interessierte wußte: Hier wurden die ersten Fixerräume in Deutschland betrieben, bekamen DrogenkonsumentInnen nicht nur (Über)Lebenshilfen und Beratung, saubere Spritzen und Tips zum Safer Use, sondern auch die Möglichkeit, unter Aufsicht und hygienischen Umständen ihre Drogen zu konsumieren.
Der Stein ist weitergerollt. Fünf Jahre später ist die Einrichtung von Fixerräumen Teil des drogenpolitischen Programms der Bundesregierung. Frankfurt schuf noch 1994 Fixerräume mit Billigung der Staatsanwaltschaft, Hannover entschloß sich 1997 dazu, andere Kommunen warten auf grünes Licht vom Gesetzgeber. Hamburg betreibt heute insgesamt acht Fixerräume in Drogenhilfeeinrichtungen, und allein in den mittlerweile drei Gesundheitsräumen von freiraum hamburg e.V. geben sich täglich im Durchschnitt über 500 Gäste die Klinke in die Hand. Die größten Probleme hat dieses Hilfeangebot, schreibt einer der Autoren in diesem Buch, durch seinen „übermäßigen Erfolg“.
Zeit für eine selbstbewußte Bilanz der guten Taten, zur Vorstellung eines inzwischen bewährten Konzeptes? Ja und nein. Denn in fünf Jahren Praxis in den Hamburger Fixerräumen und um sie herum ist menschliches Elend, sind politische und gesellschaftliche Konflikte offenbar geworden, die weiterhin Druck machen. Noch immer fristen DrogenkonsumentInnen eine gehetzte und verfolgte Existenz, noch immer sterben viel zu viele einen Tod, der nicht sein müßte. Noch immer bildet die Szene der verelendeten Junkies einen Nährboden für neue gesundheitliche und soziale Probleme, für gefährliche Infektionskrankheiten, für die Vermarktung „neuer“ Drogen wie Kokain und Crack, für zunehmende Aggression und Gewalt in der Szene, für die Zuwanderung entwurzelter Kinder und Jugendlicher unter anderem aus Osteuropa – und so weiter.
Noch immer geraten auch Menschen – Angehörige, FreundInnen oder MitarbeiterInnen der Drogenhilfe –, die Drogenabhängige vor schweren Schäden schützen und ihnen ein Überleben ermöglichen wollen, in Konflikt mit dem herrschenden Recht. Noch immer gibt es heftige Konflikte rund um die Einrichtung von Fixerräume: Es sind die ersten und einzigen öffentliche Räume, in denen der Konsum illegalisierter Drogen seinen Platz hat. Jahrzehntelang hat der Staat unnachgiebige Härte gegen DrogenkonsumentInnen demonstriert, jetzt verlangt er seinen BürgerInnen Toleranz und Aufgeschlossenheit gegenüber den Junkies in ihrer Nachbarschaft ab. Das erzeugt Angst und Abwehr, im besseren Fall Fragen und Diskussionen, im schlechteren offene Ablehnung und Angriffe. Rund um die Einrichtung von Fixerräumen durch freiraum hamburg e.V. gab es stets hitzige Diskussionen, aber auch überraschende neue Bündnisse, es regte sich Bürgerprotest, aber auch Bürgersinn, es gab Kriminalisierungsdrohungen gegen die DrogenhelferInnen, aber auch vorsichtige Kooperation mit der örtlichen Polizei. An Runden Tischen trafen sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Funktionen, politischen Anschauungen und Interessen, oft jedoch mit demselben Ziel: Das Zusammenleben mit DrogenkonsumentInnen in dieser Gesellschaft für alle Beteiligten möglich und erträglich zu gestalten.
Unser Buch über fünf Jahre Fixerraum-Erfahrungen in Hamburg soll diesen Diskussionen, soll ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen und Perspektiven Platz bieten, soll Innenansichten und Außenansichten einer neuen Drogenhilfe-Praxis, die aus einer neuen drogenpolitischen Haltung entstand, vorstellen. Ein solches Buch wurde möglich, weil freiraum hamburg e.V. viele FreundInnen, UnterstützInnen und auch kritische KooperationspartnerInnen hat. Ob Revierwachenleiter oder ehemaliger Bürgermeister, JournalistInnen, freiraum-MitarbeiterInnen oder KollegInnen anderer Hilfe-Einrichtungen – sie alle stellten ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Sicht der Dinge für dieses Buch zur Verfügung. Ihnen allen sei dafür herzlich gedankt.
Wir wünschen diesem Buch eine gute Reise, überall dorthin, wo nach neuen Antworten auf die elende Situation von Drogenabhängigen gesucht wird. Und wir hoffen, daß es weitere Steine ins Rollen bringt.



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