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Sein wie Gott

Leseprobe

Vorwort zur dritten Auflage

Acht Jahre sind seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches vergangen. Damals, im Jahre 1999, war weder fĂŒr den Verlag noch fĂŒr mich persönlich auch nur annĂ€hernd vorhersehbar, wie es von der Öffentlichkeit aufgenommen werden wĂŒrde. Zu sehr fielen Themenstellung und inhaltliche Ausrichtung der Abhandlung aus dem Rahmen gĂ€ngiger psychiatrischer Publikationen. Schon der Titel sorgte hier und da fĂŒr nicht geringe Irritation.
Umso mehr hat uns die unerwartet hohe Aufmerksamkeit der Leserschaft ĂŒberrascht und erfreut. Insbesondere in der Szene der Psychiatrieerfahrenen gab es vielfĂ€ltige, meist positive Reaktionen. Zahlreiche Rezensionen von Seiten betroffener Menschen haben gezeigt, dass jenes außergewöhnliche, religiös gefĂ€rbte Erleben im Kontext psychotischer Entwicklungen viel hĂ€ufiger anzutreffen ist, als man gemeinhin erwartet. Sehr dankbar bin ich fĂŒr eine ganze Reihe persönlicher Erlebnisberichte und Mitteilungen, die mich erreichten und belegen, dass religiöse Erlebnisformen zwar fĂŒr Psychosen nicht konstitutiv sind, sie aber wohl, vor allem im psychotischen Initialstudium, ungewöhnlich hĂ€ufig sind. Gemeinsam war der Mehrzahl dieser RĂŒckmeldungen die Genugtuung darĂŒber, dass es sich bei diesen PhĂ€nomenen nicht um singulĂ€re Erscheinungen handelt, sondern dass eine vergleichsweise große Zahl psychoseerfahrener Menschen ĂŒber Erfahrungen dieser Art verfĂŒgt. In dieser Hinsicht hat mein Buch ungeplant einen Beitrag geleistet zur Aufhebung jener Isolation, die sich mit außergewöhnlichen Erlebnisweisen oft genug verbindet. In vielen GesprĂ€chsgruppen und Psychoseseminaren war es möglich, ĂŒber diese heiklen Themen miteinander ins GesprĂ€ch zu kommen und die Erfahrung zu machen, dass auch andere Menschen in Ă€hnlicher Weise betroffen sind. Zudem hat die Themenwahl verschiedener Veranstaltungen, Tagungen, Symposien gezeigt, dass die Bedeutung religiöser Sachverhalte im Zusammenhang psychotischer PhĂ€nomene kommunikabel geworden ist. Dabei konnte nicht selten auf die Anregungen meines Buches zurĂŒckgegriffen werden.
Aber natĂŒrlich gab es auch kritische Stimmen. Verschiedentlich wurde, vor allem von schulpsychiatrischer Seite, bemĂ€ngelt, dass das von mir gezeichnete Bild der Psychiatrie viel zu positiv gefĂ€rbt sei. Ihre dunkle, destruktive Seite hĂ€tte ich weithin außer Acht gelassen. Dem kann ich zum Teil zustimmen. Mir war in der Tat daran gelegen, vor allem auf Grund der Erfahrungsberichte psychisch kranker Menschen selbst, ergĂ€nzende Gesichtspunkte zu sammeln, die die klassische Negativbeurteilung der Schizophrenie zumindest in vorsichtigen Zweifel ziehen. Die Berechtigung dieses Anliegens wurde mir seitdem vielfach bestĂ€tigt. Es zeigte sich immer deutlicher, dass ein erheblicher Abstand besteht zwischen der Wahrnehmung dieses Krankheitsbildes „von außen“ und den subjektiven Beurteilungen der Betroffenen. Dabei will ich nicht im Geringsten in Abrede stellen, dass jene Krankheit, die wir Schizophrenie nennen, sich außerordentlich zerstörerisch zeigen kann. Sie muss es aber nicht. VielfĂ€ltige Beispiele belegen, dass schizophrene Menschen diese Ausnahmeerfahrung auch als einen, oft genug schmerzhaften, gleichwohl aber notwendigen Durchbruch zu mehr Erkenntnis, Bewusstheit und letztlich LebensqualitĂ€t verstehen können. Diese SelbsteinschĂ€tzung muss jenseits von allen skeptischen Beurteilungen der „Außenwelt“ in jedem Fall ernst genommen werden.
Kritische Anmerkungen kamen ferner von solchen Lesern, denen an der Wahrung einer „gesunden“ ReligiositĂ€t besonders gelegen ist. Nicht ganz zu Unrecht wurde mir vorgehalten, ich hĂ€tte die heilsamen Potenziale des Glaubens nicht genĂŒgend abgegrenzt gegen die krankhaften Erscheinungen, die uns im Zusammenhang psychotischer Störungen begegnen. Dieser Unterscheidung kann ich theoretisch vorbehaltlos zustimmen. In der Praxis jedoch zeigt sich immer wieder, dass Glaube und Wahn manchmal nĂ€her beieinander liegen, als uns lieb ist. Zumindest unterstelle ich diesbezĂŒglich eine „Grauzone“, in der einerseits dem Wahn „echter“, unverfĂ€lschter Glauben beigemischt sein kann und in der andererseits der Glaube wahnhafte ZĂŒge annehmen kann. Vielleicht ist in meinem Buch nicht genĂŒgend deutlich geworden, dass uns solche Überschneidungen vor allem in religiösen Kreisen begegnen, die einen exklusiven Wahrheitsbesitz fĂŒr sich reklamieren. DemgegenĂŒber fĂŒge ich mit Entschiedenheit hinzu, dass ich den Glauben als eine Haltung unbedingten Vertrauens tatsĂ€chlich fĂŒr ein gewaltiges Lebenspotenzial halte. Aber, und das mag man bedauern, in dieser „reinen“ Form erscheint er lĂ€ngst nicht immer. Vielmehr ist er als eine menschliche Möglichkeit wie alles Menschliche bedroht und beschrĂ€nkt von VerĂ€nderungen, IrrtĂŒmern, Zweifeln und persönlichem Versagen. Vielleicht ist es gerade diese Anfechtbarkeit des Glaubens, die immer wieder neu nach Vertrauen fragt und sich sehnt, sein eigentlicher Schatz. Niemals kann er endgĂŒltiger, klar umgrenzter Besitz sein – immer ist er in Bewegung, immer neu fragt er nach Gott, nach dem anderen, nach sich selbst. Diese freie, lebendige Schwingung des Glaubens, die erfahrungsgemĂ€ĂŸ nur schwer auf Dauer aufrechtzuerhalten ist, wĂ€re vermutlich die beste Prophylaxe gegen jede wahnhafte Beschneidung seiner lebensförderlichen Kraft.
Der Paranus-Verlag und ich sind ĂŒbereingekommen, auch die dritte Auflage dieses Buches in unverĂ€nderter Form erscheinen zu lassen. Als ein Beitrag zur Grundlagenforschung hat es nach unserer EinschĂ€tzung auch ohne die EinfĂŒgung zusĂ€tzlicher Literatur und möglicher inhaltlicher bzw. stilistischer Anpassungen bleibenden Wert. Erweitert wurde lediglich das Literaturverzeichnis, vor allem um jene Veröffentlichungen, die sich nach Abschluss meiner Arbeit mit der Thematik beschĂ€ftigt haben.

Ronald Mundhenk, Heiligenhafen, im Mai 2007


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