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Leseprobe

Aus dem Kapitel:
Vor der Tatsache des Krankwerdens habe ich keine Angst mehr.
Nur vor der Tatsache, so behandelt zu werden, habe ich Angst.


Sibylle Prins: War dein psychiatrisches Vorverständnis dir in und nach deinen eigenen Krisen eher förderlich oder hinderlich?

Margret Osterfeld: Erst einmal war es sehr hilfreich. In dieser akuten Zeit des Eingesperrtseins habe ich oft zu mir und manchmal auch zu anderen gesagt: „Wenn ich nicht selber Psychiaterin wäre und wüsste, warum sie so handeln und was die sehen, worauf sie ihre Entscheidungen gründen, dann würde ich hier verrückt.“ Also ohne mein professionelles Vorwissen wäre ich in diesen Wochen völlig durchgedreht. Ich hätte nie wieder gewusst, wem ich trauen kann usw.
Es gab aber auch Situationen, wo mein Fachwissen es mir schwerer gemacht hat. Wenn ich zum Beispiel nur naiv medikamentengläubig gewesen wäre, wären gewisse Konflikte gar nicht erst entstanden. Das andere ist aber, dass jede so tief gehende Krise und solches Erleben, die Gewalterfahrungen – ich nenne das einmal „seelische Vergewaltigung“ –, die hinterlassen natürlich seelische Spuren, sind für jeden Menschen schwierig – die ganze Identität ist in Frage gestellt. Es war sehr lange schlimm für mich, dass meine berufliche Identität eben auch völlig in Frage gestellt war, dass ich eben nicht mehr wusste, ob und wie ich mich überhaupt noch mit dem Beruf identifizieren kann.

Sibylle Prins: Hat sich im Umgang, im Verhältnis zu deinen Patienten etwas verändert für dich?

Margret Osterfeld: Die Antwort ist ein klares Ja. Heute suche ich das Verständnis natürlich an vielen Stellen sehr viel bewusster, wenn es die Zeit erlaubt.
Ich selber bin sehr viel zurückhaltender geworden mit Zwangsmaßnahmen. Auch da hat sich meine Haltung sehr geändert – erst mal zu reflektieren, was gibt es für andere Möglichkeiten und was können wir machen? Ich könnte nicht auf einer geschlossenen Station arbeiten, weil ich da diese ständigen Zwangsentscheidungen nicht mittragen könnte, geschweige denn, sie auch nur halbwegs vernünftig finden könnte. Da sehe ich mich allemal als traumatisiert.


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