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Dialoge im Netzwerk

Leseprobe

Teil I: Einführung in die Netzwerkarbeit

1. NETZWERKE UND DIALOGE

In diesem Buch stellen wir eine Art von Arbeit vor, bei der die persönlichen Netzwerke von Klienten und die professionellen Netzwerke der Helfer eingeladen werden, sich an gemeinsamen Gesprächen zu beteiligen – einmal in so genannten Offenen Dialogen, ein Ansatz, der in der psychiatrischen Arbeit entwickelt wurde, und zweitens in sogenannten Antizipatorischen Dialogen (Möglichkeitskonstruktionen), einem Ansatz aus der Arbeit mit Familien und Kindern.

Menschen leben in ihren sozialen Beziehungen – auch wenn Mitarbeiter professioneller Dienste sich mit ihnen als Einzelne beschäftigen. Wenn Mitarbeiter und Klient sich im Gespräch gegenüberstehen, ist das persönliche Netzwerk des Klienten als Zuhörer bereits anwesend und ebenso das professionelle Netzwerk im Hintergrund des Mitarbeiters.
Individuen haben – auf unterschiedliche Weise – Zugang zu Beziehungen, in denen sie ihre soziale Identität begründen, geistige, materielle Unterstützung und Informationen bekommen sowie neue Kontakte knüpfen.
Wenn wir einen Klienten nach den Menschen fragen, die ihm nahe stehen, dann werden diese in das Gespräch einbezogen, indem sie am inneren Dialog des Klienten beteiligt sind – und ihre Stimmen sind als Echo präsent, auch wenn wir uns nicht genauer nach ihnen erkundigen. Jede Frage und jeder Kommentar involviert Stimmen in einen solchen Dialog. Wenn wir Fragen stellen zu den wichtigen Menschen im Leben des Klienten oder Kommentare äußern, wird deutlich, dass es sich um Beziehungsarbeit handelt, auch wenn wir nicht netzwerkorientiert arbeiten. Wie wir mit dem Klienten sprechen, beeinflusst den inneren Dialog des Klienten und seine Dialoge mit Menschen, die ihm nahe stehen.
Der Klient bringt auch die Kontakte mit früheren oder anderen professionellen Helfern in das Gespräch mit ein. Wenn wir uns auf die Aussagen des Klienten beziehen oder ihm Fragen zu seiner Situation stellen, wenden wir uns also auch an das übrige professionelle Netzwerk. Vielleicht befindet sich der Klient anfangs in einer Zwischenposition, indem er das, was wir sagen, mit den Aussagen anderer vergleicht. Andere Mitarbeiter sind als Stimmen in unserem inneren Dialog gegenwärtig und unsere Erfahrungen mit ihnen klingen nach. Wir befinden uns also in einem Netzwerk von Beziehungen, auch wenn wir mit dem Klienten alleine sprechen. Diese Beziehungen halten wir die ganze Zeit aufrecht, als Stimmen, die in unserem Gespräch ein Echo erzeugen.

Professionelle Arbeit für einen Klienten steht in Beziehung zu Aktivitäten anderer Helfer, die vorausgegangen sind oder noch geleistet werden (sollen). In modernen Gesellschaften sind Klienten mit Behörden, Diensten und Institutionen von Geburt an konfrontiert – als Säuglinge, Kleinkinder, im Schulalter, als Jugendliche, als junge Erwachsene, als Eltern, im mittleren Alter und als Senioren. Es gibt in diesen Ländern keinen Menschen, der gänzlich unabhängig von den Beziehungen in einem sozialen Netzwerk oder ohne Kontakt mit sozialen Institutionen lebt.
Wenn professionelle Netzwerke tätig werden, agieren sie von Anfang an in „dieser Landschaft“. Professionelle Maßnahmen sind stets mit denen anderer verbunden. Sie können sich ergänzen oder gegenseitig behindern. Besonders dann, wenn die Probleme „nicht eindeutig“ sind, können eine Reihe von Mitarbeitern verschiedener Institutionen mit einem Klienten oder seiner Familie beschäftigt sein.
Wenn man soziale Netze als Verbindungen ansieht, die Zugang zu Hilfe und Information sowie neue soziale Beziehungen ermöglichen, dann ist jede professionelle Tätigkeit im sozialen Feld Netzwerkarbeit. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass Vernetzung unumgänglich ist. Es geht also nicht darum, ob diese Arbeit geleistet wird, sondern wie wir dabei vorgehen.

Eine solche Arbeit, die in Belastungssituationen die Grenzen der sozialen Systeme öffnet, ist keineswegs leicht zu bewerkstelligen. Die Netzwerke können festgefahren sein oder es kann zu Ergebnissen kommen, die von keinem der Beteiligten gewollt waren. Trotz der Komplexität einer sinnvollen Zusammenarbeit der Netzwerke im Sinne von „Grenzüberwindung“ muss man leider feststellen, dass für eine systematische Praxisentwicklung wenig Energie aufgewendet wird. Multilaterale Zusammenarbeit erscheint vielmehr als etwas, das spontan zu Stande kommt. Im Vergleich zu den vielen methodischen Ansätzen und Ausbildungen für die Einzel- oder Teamarbeit, gibt es nicht viel, womit Mitarbeiter auf die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Beteiligten vorbereitet werden.

In diesem Buch geht es also um das Zusammenwirken von sozialen und professionellen Netzwerken in der psycho-sozialen Arbeit. Wir wollen erörtern, wie man dieses Zusammenwirken dialogisch gestalten kann.
Vernetzung ist seit mindestens drei Jahrzehnten ein Thema in der therapeutischen und sozialen Arbeit. Dialogische Ansätze sind in den verschiedenen Feldern der Einzel- und Gruppentherapie, Ausbildung und Beratung entwickelt worden. Dialoge zwischen Netzwerken blieben vergleichsweise unterentwickelt. Zumindest liegen keine entsprechenden Analysen oder Berichte vor.
Wenn die verschiedenen Beteiligten sich treffen, um eine Problemsituation zu besprechen, kann einer allein einen solchen Zustand nur schwer kontrollieren. In einer Belastungssituation ist es schwierig, mit Unsicherheiten und dem Mangel an Steuerbarkeit fertig zu werden. Die Versuchung, mittels monologischer Diskurse eine Kontrolle über Denken und Handeln anderer auszuüben, ist unter solchen Bedingungen besonders groß.
Michael Bachtin (1981) hat darauf hingewiesen, dass eine monologische Sprache Grenzen setzt, dass sie sich großer Beliebtheit erfreut und dass man sich nach ihr richtet. Im Gegensatz dazu ist der Dialog offen. Vielfältige Bedeutungen entstehen und werden von Antwort zu Antwort transformiert. Je mehr Stimmen in einen „polyphonen“ Dialog einfließen, in dem Teilnehmer um gegenseitiges Verständnis bemüht sind, desto reichhaltiger fallen die Möglichkeiten zur Verständigung aus. Der Dialog ist eine Art gemeinsames Nachdenken, und so entsteht unter den Beteiligten ein gemeinsames Verständnis, das über die Möglichkeiten jedes Einzelnen hinausgeht. Um dies zu erreichen, müssen die einzelnen Beteiligten einander zuhören, antworten und wiederum gehört werden.
Auf den ersten Blick sind die Bedingungen für den Dialog in einer Krisensituation nicht besonders günstig – der Angstpegel ist hoch, Systeme mit zahlreichen Beteiligten sind festgefahren, die Klienten unzufrieden; die Angehörigen sind besorgt und professionelle Mitarbeiter beschuldigen sich gegenseitig. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass gerade in solchen Situationen Dialoge erforderlich und konstruktiv sind.
In den folgenden Kapiteln wollen wir erörtern, unter welchen Bedingungen dialogische Begegnungen in der Netzwerkarbeit gelingen können, und wir wollen die wesentlichen Merkmale des Dialogs nachzeichnen.

Vernetzung in der psycho-sozialen Arbeit bedeutet Grenzen zu überwinden

In der Psychotherapie und der sozialen Arbeit, in Beratung und Rehabilitation sind Netzwerke seit den 70er Jahren ein Thema. Inzwischen hat man eine Vielzahl netzwerk-orientierter oder auch „systemischer“ Vorgehensweisen entwickelt. „Vernetzung“ ist zu einem Modewort geworden. Und auch in weiten Bereichen der globalisierten Wirtschaft bis zur Informationstechnologie, von den Bahnen der Neuronen bis zum Sozialkapital, wird der Begriff „Netzwerk“ verwendet. Manuel Castell (2000) behauptet, dass wir in einer „Netzwerk-Gesellschaft“ leben.

Nach Bruno Latour (1996) gibt es Eigenschaften, die allen Netzwerken gemeinsam sind. Das Schlüsselwort ist Verbundenheit. Netzwerke können sich von einer schwachen zu einer starken Verbundenheit umgestalten und umgekehrt. Andrew Barry (2001) hat darauf hingewiesen, dass mit Vernetzungskonzepten nicht eine entfernte Realität, sondern eine neue, modulierte Wirklichkeit gemeint ist. Wenn man in einer netzwerk-orientierten Terminologie denkt, dann eröffnet das die Möglichkeit, Netzwerkaktivitäten zu planen.

John Barnes (1954) gilt zu Recht als der Erfinder des Konzeptes sozialer Netzwerke. Er untersuchte ein norwegisches Dorf und stellte fest, dass die sozialen Verbindungen quer über die Grenzen sozialer Klassen, Familien usw. verlaufen, wenn er sie als Knotenpunkte in sozialen Netzen konzipierte. John Barnes (1972) nahm an, dass seine Erfindung des „sozialen Netzwerks“ bald vergessen sein würde, so wie es auch mit früheren modischen Konzepten geschehen war, aber das war nicht der Fall.
Ross Speck und Carolyn Attneave (1973) waren in den USA waren Netzwerkpioniere der Sozialarbeit. Sie entwickelten einen Methodenkatalog, um die Ressourcen sozialer Netze miteinander zu verknüpfen, und nannten ihn „Netzwerktherapie“.

Netzwerke bleiben nicht immer gleich. Private oder persönliche Netze von Bürgern – das heißt, die Familie, die erweiterte Familie, das Wohnumfeld oder die Arbeitskollegen usw. – verändern sich vielmehr. Das gilt für die Familie, deren Bedeutung nicht in allen Kulturen gleich ist und sich im Laufe der Zeit verändert. Das gilt für die erweiterte Familie oder die Verwandtschaft sowie für die Beziehungen am Arbeitsplatz.
Allgemein lässt sich feststellen, dass sich die Ressourcen sozialer Unterstützung und die Art der Kontrolle verändern. Das Individuum kann sich ungeahnter Freiheiten erfreuen und gleichzeitig ist es weiter von traditionellen Unterstützungsformen entfernt als je zuvor. Dennoch ist das Konzept des sozialen Netzwerks intakt. Die Vagheit seiner Definition bedeutet vielleicht gerade, dass es den sozialen Wandel überdauern kann. Auch in den spät- und postmodernen Veränderungen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft macht es Sinn, die Beziehungen weiterzuverfolgen und nach den Ressourcen zu suchen, die in Bindungen enthalten sind.

Eine besondere Art sozialer Netzwerke, nämlich die der professionellen Dienste, hat sich auf eine grundsätzliche Weise verändert. In den 50er Jahren gab es die umfassende vertikale Fachlichkeit einer sektorisierten psycho-sozialen Arbeit der heutigen modernen Gesellschaft noch nicht. Erst nach dem Krieg zeigte sich die Notwendigkeit, in großem Umfang Gesundheits-, Erziehungs-, Wohlfahrts- und andere Dienste einzurichten. Individuell zugeschnittene Programme, etwa im Gesundheits- und Erziehungssystem, sind inzwischen von einem fest etablierten System sozialer Arbeit mit einer sektoralen Spezialisierung abgelöst worden. So ist ein „Silosystem“ mit sektoralen Abgrenzungen entstanden, das die Arbeitsfelder und die professionellen Strukturen festschreibt. Solche Abgrenzungen wiederum machen „Grenzöffnungen“ und „flexible Netzwerke“ erforderlich (Castell, 2000), in denen man auch auf die Wirkung des gesamten Systems und nicht nur auf die des einzelnen Bausteins, des speziellen „Silos“, zu achten hat.

Der weiter gefasste Kontext von Netzwerkdialogen ist die Begegnung zwischen der Lebenswelt der Bürger und den verschiedenen Feldern des professionellen Systems. Die sektorale Organisationsform versucht den postmodernen Problemlagen gerecht zu werden. Wie also können wir über die Grenzen hinauskommen, sie öffnen und überwinden – und dies sowohl innerhalb des professionellen Netzes als auch in der Arbeit mit dem Klienten und seinem persönlichen Netzwerk?

Im besten Falle stellen multiprofessionelle Systeme ein komplementäres Angebot dar, dessen Bausteine gut zusammenpassen. Die professionellen Helfer wissen, wen sie ansprechen müssen, wenn sie eine ergänzende Fachlichkeit benötigen. Im schlimmsten Fall kommt es zu Unsicherheiten über Zuständigkeiten und Behandlungsmethoden. Dann versuchen die Fachleute, ihren Kollegen zu sagen, was zu tun sei; währenddessen verschlechtert sich die Situation der Hilfebedürftigen weiter.
Wenn es gut geht, versorgen die Mitarbeiter ihre Mitbürger mit fachlicher Hilfe. Im ungünstigen Falle hören die Systeme den Klienten noch nicht einmal zu, begegnen ihnen mit fremden Definitionen oder ergreifen Maßnahmen, die nicht zur Lebenssituation des Klienten passen oder ihn in eine „falsche Richtung“ drängen.
Die Idee, Grenzen zu öffnen, muss sich also sowohl zwischen den professionellen Systemen als auch zwischen Professionellen und Klienten bewähren. Diese Dimensionen fließen zusammen. Wenn die Angehörigen und weitere Personen aus dem persönlichen Netzwerk des Klienten zur Behandlung eingeladen werden, geht es nicht darum, sie zu behandeln, sondern damit sie helfen und unterstützen können. Ihre Stimmen sollen dazu beitragen, ein gemeinsames Verständnis herzustellen, damit die notwendige Verwirrung, die aus einer schwierigen Situation resultiert, aufgelöst und nutzbar gemacht werden kann. In so einer Situation lässt sich dann schwer die grundsätzliche Unterscheidung zwischen „Laien“ und Experten treffen. Natürlich bedeutet dies gleichwohl, dass der Arzt Arzt, der Psychologe Psychologe und der Sozialabeiter Sozialarbeiter bleiben. Ihre Fachlichkeit verflüchtigt sich nicht im Prozess der Grenzüberwindung.1 Im Dialog liegt die Behandlung nicht allein auf ihren Schultern. Die Kompetenz des Laiensystems erweitert vielmehr die Ressourcen der Fachleute.
Eine psychische Krise oder ähnliche, bedrohliche Situationen berühren nicht nur den Klienten, sondern auch seine Angehörigen. In einem gemeinsamen Dialog ist es möglich, zu einem wechselseitigen Verständnis zu gelangen, das keine einzelne Gruppe hätte herbeiführen können. Im Ergebnis wird das soziale System des Klienten zu einer Ressource der Behandlung und zu einem Mitgestalter des Prozesses. Wenn Netzwerke sich versammeln, kann eine gemeinsame Fachlichkeit erreicht werden, die über die Fachlichkeit jedes Einzelnen hinausgeht.

Unser Anliegen und Vorgehen

Unsere Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit Netzwerkdialogen erstreckt sich über gut zwei Jahrzehnte: Jaakko hat in der Psychiatrie gearbeitet, Tom hat multiprofessionelle Hilfen in Einrichtungen der Sozialarbeit für Kinder, Jugendliche und Familien untersucht. In diesem Buch beschreiben und analysieren wir also die von Jaakko und seinen Kollegen entwickelten Offenen Dialoge sowie die von Tom und verschiedenen Teams kreierten Antizipatorischen Dialoge (Möglichkeitskonstruktionen).
Wir gehen davon aus, dass es noch mehr dialogische Ansätze gibt bzw. zusätzlich entwickelt werden. Unsere eigenen Erfahrungen nutzen wir in diesem Buch als Grundlage, um allgemein die Dimensionen der Dialogik zu reflektieren. Weil Dialogik nicht an sich oder unabhängig von ihrer Anwendung existiert, beschreiben wir sorgfältig unsere praktische Arbeit, die zur Grundlage unserer Schlussfolgerungen wurde.
Bei den Techniken und Methoden dieses Buches handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Handlungsanleitung. Wir greifen die Dialogik als eine Art zu denken auf, die man mit verschiedenen Methoden verbinden und die das gemeinsame Zuhören und Denken fördern kann. Außerdem erörtern wir die Forschungsergebnisse, unser Vorgehen bei der Evaluation des Ansatzes und die Rückkoppelung der Resultate für die weitere Entwicklung der Arbeit.

Unsere Vorstellung und Praxis in Dialogen verdanken wir einem jahrelangen Entwicklungsprozess.
Wir wollen in Kapitel 2 mit der Beschreibung von überraschenden, unvorhergesehenen Wendungen beginnen, denn wir haben das dialogische Verfahren nicht nach einem vorgegebenen Plan erarbeitet, sondern auf praktische Hindernisse und auf Wissenslücken reagieren müssen. Wir sind unseren Praxiserfahrungen gefolgt und haben uns gleichzeitig an der Theorie orientiert. Die Idee der Dialoge können wir also besser erklären, wenn wir die Haken und Ösen unserer Entwicklung erläutern, anstatt ein Hochglanzbild unserer Ergebnisse zu zeichnen.

In Kapitel 3 erörtern wir die Bedingungen, die zu einer kompletten Bruchlandung in Netzwerkversammlungen führen. Wir vermuten, dass viele von ihnen die Art von Rivalität kennen, zu der es in institutionsübergreifenden Versammlungen kommen kann. Wer hat die Kompetenz, eine Angelegenheit zu definieren, und wer kann das für alle Beteiligten Gemeinsame so beschreiben, als stünde er darüber und könnte es aus der Vogelperspektive betrachten? Oder man spricht sich engagiert für Kooperation aus, so lange man sicher sein kann, nicht involviert zu werden. Oder die Interaktionsformen der Versammlung nehmen seltsamerweise Züge der Klienteninteraktion an, um die es in der Arbeit geht. Wie lässt sich diesen Fallstricken im Prozess mit den verschiedenen Beteiligten entgehen?

Die Prinzipien des Offenen Dialogs, die wir in Kapitel 4 vorstellen, ergeben sich aus der Analyse der wesentlichen Merkmale einer erfolgreichen netzwerk-orientierten psychiatrischen Behandlung. Wir gingen nicht von vorgegebenen Regeln aus, die wir dann nur noch umsetzen mussten. Offene Dialoge sind sowohl eine Art und Weise, wie wir die Behandlung organisieren, als auch eine Methode, wie wir über die Dinge in den Netzwerkversammlungen sprechen. Die Erfahrungen, die sich in diesen Prinzipien niederschlagen, haben wir in den vielen Jahren unserer Entwicklungsarbeit gesammelt und dabei half uns von Anfang an die Forschung im finnischen Lappland (West-Lappland-Projekt).

In Kapitel 5 beschreiben wir die Antizipatorischen Dialoge, die wir in erster Linie in unserer multi-professionellen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien entwickelt haben. Sie stellen das Alltagsleben von Kindern/Jugendlichen/Familien und die planvolle Zusammenarbeit mit ihnen in den Mittelpunkt. Eine besondere Methode ist die „Erinnerung an die Zukunft“, eine Möglichkeitskonstruktion, mit der eine vielstimmige Verständigung in Problemsituationen erzeugt werden soll.

Im Kapitel 6 vergleichen wir Offene und Antizipatorische Dialoge. Und wir nehmen mit Abstand eine Erörterung der allgemeinen Prinzipien der Dialogik vor. Der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen war immer unsere eigene Praxis.

In Kapitel 7 beschäftigen wir uns ausführlicher mit der Theorie und versuchen herauszuarbeiten, welche dialogischen Faktoren heilsam und nützlich sind.
Aber natürlich lautet für uns die zentrale Frage: Welche Dialogprozesse führen schließlich zu einem guten Ergebnis und welche zu einem schlechten? Das Kapitel 8 widmet sich dieser Fragestellung. Es scheint, dass es unterschiedliche Dialogformen gibt, und wir wollen diese Praxisvielfalt des Offenen Dialogs herausarbeiten. Dabei skizzieren wir diejenigen Faktoren, die eine positive Entwicklung des Dialogs befördern.

In Kapitel 9 untersuchen wir die Behandlungsergebnisse des Offenen Dialogs anhand von Nachuntersuchungen. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Sie unterscheiden sich vor allem von den Resultaten, die üblicherweise die Grundlage der Empfehlungen zur psychiatrischen Behandlung kennzeichnen. In vielen Fällen stehen sie diesen sogar diametral gegenüber. Die Notwendigkeit, neuroleptisch zu behandeln, kann durch eine Arbeit im Netzwerk auf ein Minimum reduziert werden. Sowohl die Ergebnisse zur Wiederherstellung des Patienten als auch hinsichtlich der psycho-sozialen Bewältigungsfähigkeiten fielen besser aus. Es gibt also offenbar eine Alternative zur üblicherweise kontrollierenden Behandlung von psychiatrischen Patienten.

Was hat nun aber zu diesen erstaunlichen Ergebnissen geführt?
In Kapitel 10 erörtern wir die möglichen Ursachen. Dabei „schauen wir über den Tellerrand hinaus“ und setzen uns kritisch mit der „evidence-based“ Forschung auseinander. Die Empfehlungen zu einer validierten Behandlung berücksichtigen nicht die wichtigsten Merkmale des Dialogs. Forschungsdesigns, die fatalerweise die wirksamen Variablen reduzieren, sind zum verbindlichen Maßstab wissenschaftlicher Kompetenz geworden.
Wir meinen jedoch, dass eine breitere empirische Forschung erforderlich ist, die berücksichtigt, dass Akteure nicht lediglich einseitig auf Objekte einwirken – quasi eine monologische Einwegkommunikation –, sondern dass die Wechselwirkungen der Kommunikation einzubeziehen sind.
Und: Eine gute Praxis kann nicht einfach kopiert werden. Die Unterschiede von Kontexten und Akteuren müssen stets in Betracht gezogen werden. Immer häufiger stoßen wir auf Hinweise, dass eine stärker kontextualisierte Forschung notwendig ist, die zu besseren und sozial validierten Erkenntnissen führt. Es sind also grenzüberwindende Foren und Lernorte zu schaffen, in denen Forschungsdialoge gelingen können.
In unseren abschließenden Bemerkungen wenden wir uns der Frage zu, was die Begriffe „Macht“ und „Empowerment“ für unsere Arbeit bedeuten und wie sich auch Machtbeziehungen im Dialog verändern.

Dieses Buch ist aus einer engen Zusammenarbeit heraus entstanden. Als Ergebnis unserer Diskussionen haben wir beide verschiedene Kapitel geschrieben: An den Kapiteln 1, 2 und 6 waren wir beide beteiligt. Dem 3. Kapitel liegt Toms Manuskript zugrunde, dem 4. Jaakkos. Tom hat die Kapitel 5 und 10 geschrieben, während die Kapitel 7, 8 und 9 hauptsächlich auf Jaakkos Arbeit beruhen. Dann haben wir die Manuskripte noch einmal diskutiert und gründlich überarbeitet. Für uns war besonders der Prozess wichtig, ein gemeinsames Buch zu schreiben, in dem unsere jeweils speziellen Perspektiven integriert sind.


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