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Nerven bewahren

Rezensionen

„Irren ist menschlich“ – so hieß das legendäre Lehrbuch der Psychiatrie von Klaus Dörner und Ursula Plog. Das vorliegende kleine Bändchen ist auch heute noch, 35 Jahre später, der schlichte, humorvolle, v.a. aber klientenorientierte Beweis dafür.
Martin Rufer auf www.systemagazin.de
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"Das Buch ist Selbsterfahrung und Lehrstück für gegenwärtige und altgediente Psychiatriemitarbeiter – sicherlich besonders lesenswert für alle jene, die verpasst haben, selbst ein solches Sudelheft zu führen."
Daniel Sommerlad auf www.socialnet.de
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Paul-Werner Schreiner auf: www.pflegethemen.de:
Das preiswerte Buch sei wärmstens zur Lektüre empfohlen. Wer nicht in der Psychiatrie tätig ist, sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass der Untertitel auf den Alltag in der Akutpsychiatrie verweist. Die vom Autor beleuchteten Klinik-­/Alltagssituation und sprachlichen Umgangsformen sind mit gewissen Nuancen auch in vielen anderen klinischen
Disziplinen beschreibbar und in Pflegeeinrichtungen auf jeden Fall. Die unter dem Stichwort "Systemkompetenz" dargelegten Konzepte sind zumindest auf alle Bereiche der
klassischen, sprich konservativen Medizin problemlos übertragbar.

Jens Riedel in: Der Eppendorfer:
Nerven bewahren – und „normal“ bleiben
Andreas Manteufel hinterfragt den Alltag in der Akutpsychiatrie auf ungewöhnliche Weise.
Da gibt es den Psychiatrieerfahrenen, der im Trubel des Klinikalltags ausruft „Das ist ja hier wie im Irrenhaus!“ Da ist der Patient, der auf die Frage, was ihm bei seiner Gesundung geholfen habe, als Antwort die drei regelmäßigen Mahlzeiten nennt. „Woher soll ich wissen, wie es mir geht? Sagen Sie es mir. Sie sind doch der Experte“, sagt ein anderer zu seinem Therapeuten. Und ein Gespräch zwischen zwei Patienten verläuft folgendermaßen: „Na, was sagt der Doktor?“ – „Dass ich eine Psychose habe.“ –„ Und das lässt Du Dir einreden. Bist du verrückt?“ Die Zitate stammen aus dem Klinikalltag, wie ihn Andreas Manteufel 20 Jahre lang selbst erfahren oder glaubhaft überliefert bekommen hat.
Festgehalten hat der Psychotherapeut die aufgeschnappten Sätze in einem privaten „Sudelheft“ und nun veröffentlicht. Sein doppeldeutig betiteltes Buch „Nerven bewahren“ ist allerdings alles andere als ein humoristischer Streifzug durch die Arbeit in psychiatrischen Kliniken. Ganz im Gegenteil. Manteufel nutzt die unfreiwilligen Bonmots, um an ihnen den Berufsalltag zu hinterfragen. Er ertappt auch Kollegen bei sprachlichen Ver(w)irrungen und entlarvt so manche verharmlosende Beschreibung für reale therapeutische Schritte, etwa wenn es um Fixierungen geht. Dabei geht es ihm nicht um eine verurteilende Haltung, sondern um Verbesserungen im nicht selten zur Routine gewordenen Alltag.
Der Autor ist nicht nur Psychotherapeut, sondern auch Sprachwissenschaftler und nutzt seine Eingangssequenzen, um vor allem anhand von scheinbaren Widersprüchlichkeiten und paradox klingenden Redewendungen den Sprachgebrauch und die Sprachbedeutung im psychiatrischen System konkret zu hinterfragen. Ein einfaches Beispiel: Manche Patienten fühlen sich erst auf der geschlossenen Station (be)frei(t), weil sie dort ihre Störungen leichter ausleben können. Einer erklärt, er müsse wohl wollen.
In der Regel geht es in Therapien um Gefühle – und die lassen sich nun einmal nur schwer in Worte fassen. Gleichwohl arbeitet die Psychiatrie bei der Diagnose mit Schlagworten, die selten dem Einzelfall gerecht werden (können). Manteufel nennt zudem Beispiele für ein weiteres Sprachproblem. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Patientenäußerungen als Metaphern gedeutet werden, obwohl es sich um tatsächliche Ereignisse handelt – auch wenn sie vielleicht im ersten Augenblick noch so „verrückt“ klingen mögen.
Nach Manteufel gibt es, überspitzt gesagt, zwei Arten von Therapeuten: Die, die fragen: „Was haben Sie denn?“, und die, die wissen wollen: „Was fehlt Ihnen denn?“ Der Autor sieht hier durchaus einen kleinen, wenn auch feinen Unterschied. Die Psychiatrie ist ein komplexes System, in dem nichts feststeht, außer einer Beziehung zwischen Therapeut und Patient, und die ist immer eine ganz individuelle mit ganz eigenen Gesetzen in jedem Einzelfall – das ist eine der Kernaussagen des Buches. Daraus folgt auch ein anderer Umgang miteinander, der im Klinikalltag oft auf der Strecke bleibt. Die Betrachtungen der Begriffswirrungen und Sprachirrungen münden in einigen Tipps, wie im Psychiatriealltag ein Stück Normalität bewahrt werden kann. Dazu gehören für Andreas Manteufel auch ganz profane Dinge wie Geduld und respektvoller Humor sowie bewusste (Verschnauf)Pausen.
Er rät auch dazu, hin und wieder vielleicht einmal eine andere Sichtweise einzunehmen, mehr auf persönliche Kontakte mit den Kollegen zu setzen, statt auf regen klinikinternen E-Mail-Verkehr und sich auch den eigenen Arbeitsraum freundlich zu gestalten. Vor allem aber plädiert er für etwas Distanz, die im Arbeitsalltag der Stationen vielfach verloren geht. Ein wenig Abkehr von der Routine und einer gewissen Selbstgefälligkeit in der Psychiatrie kann für beide Seiten heilsam sein und kommt sowohl den Ärzten und Pflegern selbst als auch den Patienten zugute.
Nicht nur deshalb ist „Nerven bewahren“ absolut lesenswert.

Christoph Müller auf amazon.de (5 Sterne-Rezension):
Ermunterung zu offenen Augen im psychiatrischen Alltag
Mit offenen Augen durch den Alltag zu gehen ist schon eine besondere Begabung, die in der Gegenwart nicht hoch genug einzuschätzen ist. Wenn diese Kompetenz dann noch mit einer hohen Reflexionsbereitschaft verbunden ist, dann ist ein persönliches Überleben in der psychiatrischen Arbeitswelt wahrscheinlich gesichert. Schließlich sorgt eine solche Grundhaltung auch dafür, dass es auch psychisch veränderten Menschen in der Begleitung zugute kommt.
Der Bonner Psychologe und Psychotherapeut Andreas Manteufel schildert in seinem Buch 'Nerven bewahren' den Alltag in einer psychiatrischen Klinik, wie er ist. Er bildet diese psychiatrische Wirklichkeit ab, indem er viele kleine Episoden erzählt. Dies ist jedoch nicht seine einzige Leistung. Manteufel denkt viel nach, schildert seine Eindrücke, Gefühle und Reflexionen, die ihn während seiner psychotherapeutischen Arbeit bewegen. Mit dem Buch 'Nerven bewahren' ist ihm ein eindrucksvolles und gleichzeitig nachdenkliches Buch gelungen.
Es ist eine freundliche Einladung an den Leser, die Andreas Manteufel schon früh in dem Buch formuliert: 'Lassen Sie sich mit dieser Sammlung von Alltagsszenen und ihren Auslegungen mitten in den Klinikalltag hinein entführen. So könnte das an der Oberfläche manchmal seltsam oder chaotisch erscheinende Treiben in einem psychiatrischen Krankenhaus für Sie allmählich Sinn bekommen.'
Damit trifft er natürlich einen Kern, der einen beim psychiatrischen Arbeiten immer wieder beschäftigen müsste. Jede Pathologie, jede Verhaltensweise, jede Äußerung hat ihren Sinn und ihre Funktion. Wenn das Buch 'Nerven bewahren' vor allem eines beim Leser erreichen sollte, so müsste es diese Einsicht sein. Allzu häufig geht dem psychiatrischen Praktiker dieses Bewusstsein verloren. Sympathisch erscheint Manteufels Plädoyer für die paradoxe Kommunikation im psychiatrischen Alltag. Paradoxe Kommunikation sei für einen psychiatrischen Mitarbeiter tägliche Kost, daher müsse man ein Gespür für sie entwickeln und auf sie reagieren können.
Die Lektüre des Buchs 'Nerven bewahren' von Andreas Manteufel ruft beim aufmerksamen Leser vielfältige Reaktionen hervor. Ob es das Grinsen über ein amüsierendes Erlebnis oder das Nachdenken über die Weisheit eines Patienten ist, Andreas Manteufel nimmt den Leser mit, macht ihn zu einem beteiligten Akteur im Geschehen statt ihn in der passiven Rolle eines Zuschauers zu belassen. Dies ist auch der wichtigste Dienst, den das Buch 'Nerven bewahren' leistet.
Ausführlich erläutert Manteufel das Thema 'Gefühle'. Er schreibt: 'Über Gefühle lässt sich trefflich streiten, Eindeutigkeit ist eh nicht herzustellen ' In Gesprächen kann ich registrieren, mit welcher Gefühlsmetaphorik ich von Patientenseite konfrontiert werde. Dann entscheide ich, inwieweit ich sie aufgreife oder inwiefern ich bewusst andere Metaphern und damit andere Sichtweisen einführe.' Wenn Manteufel sich gedanklich so einbringt, thematisiert er natürlich ein Grundverständnis des psychiatrischen Mitarbeiters. Da dies an vielen anderen Stellen genauso passiert, deshalb ist Andreas Manteufels Buch 'Nerven bewahren' eine wichtige Veröffentlichung dieses Jahres, die breiter diskutiert werden sollte. Offene Augen sollten mehr psychiatrisch Aktive haben.

Marina Zinsli in: Pro Mente Sana Aktuell:
Das Wortspiel „Nerven bewahren“ erinnert einerseits an den veralteten Ausdruck Nervenheilanstalt, andererseits ist es ein Appell an Mitarbeitende von Psychiatrischen Kliniken, den Autor einbegriffen. Andreas Manteufel ist Psychologe und reflektiert in seinem Buch den Klinikalltag auf eine ganz besondere Weise. „Ich gehe erst aus der Klinik raus, wenn ich zu Ende therapiert bin. Bohren Sie so tief Sie können. Bohren, bohren, bohren.“, verlangte etwa ein Patient mit zunehmendem Nachdruck in der Stimme. Er lädt damit zu einer Diskussion über Metaphern für Psychotherapie ein. Die Arbeit soll der Therapeut erledigen. Wie bei einem Zahnarztbesuch ist der Patient bereit für die Schmerzen, die er erwartet, je tiefer gebohrt wird. Dies ist nur ein Vorgeschmack auf die anschaulichen Sprachspiele aus dem Sudelheft des Psychologen. Die sprachliche Neigung des Autors ist durch sein Studium der Allgemeinen und Angewandten Sprachwissenschaften geprägt und wird stets mit der psychotherapeutischen Betrachtung kombiniert. Die humorvolle Betrachtung des Klinikalltags ist eine Seite der Medaille, die damit verbundene Anstrengung und Herausforderung die andere.
Im zweiten Teil des Buches wird demnach erläutert, wie denn nun die Nerven bewahrt werden können. Der Autor nimmt jedoch Abstand von Ratgeberliteratur, welche seiner Meinung nach eher zu einem schlechten Gewissen als zur alltagserprobten Anwendung führt. Er regt die Lesenden eher dazu an, ihren Stil des Nervenbewahrens zu finden. Weiter finden sich in diesem Werk Anregungen, wie man unter den gegebenen Bedingungen „normal“ bleiben kann. Neben Humor, einer individuellen Pausenkultur und persönlichen Kontakten werden noch einige andere Möglichkeiten genannt. Die verschiedenen (Be-)Deutungen des besonderen Arbeitsplatzes runden die Lektüre ab. Die Schlussfolgerung: Humor und Kreativität erleichtern die Reflexion und fördern die Fähigkeit, die Nerven zu bewahren, um so „normal“ wie möglich zu bleiben.
Das Buch ermöglicht es interessierten Laien, genussvoll den Blick hinter die „Tabu-Mauern“ der Psychiatrie zu wagen. Fachpersonen dient die Lektüre der humorvollen Inspiration. Beide werden dazu aufgefordert, die Frage „Was ist eigentlich die Psychiatrie?“ zu überdenken und ihre eigene Haltung zu hinterfragen. Fazit: Dem Autor ist es gelungen, eine leichte Lektüre über ein schweres Thema zu verfassen.

Christine Theml in: „Nicht ohne uns“, Mai 2012:
Andreas Manteufel, psychologischer Psychotherapeut, ist seit 1992 an einem Krankenhaus Abteilung Allgemeine Psychiatrie tätig.
Er hat zwei Studienrichtungen abgeschlossen, ein Psychologiestudium und eines der Angewandten Sprachwissenschaften. Sicher war dieses Interesse an Sprache, das ja für die psychiatrische Behandlung ein wichtiges Feld ist, Ursache für die Gewohnheit, die nun zum Buch wurde, Merkenswertes in ein Sudelbuch einzutragen.
Nun kann man also ein Buch über den Alltag in einer psychiatrischen Klinik von einem Mitarbeiter in verantwortlicher Position lesen. Hier wird vieles mitgeteilt, was sympathisch, unaufgeregt, auch Vertrauen erweckend klingt. Eigentlich ein Beitrag zum Trialog.
Nerven bewahren hat schon einen doppelten Sinn: Patienten geben ihre kranken Nerven in der Klinik in die Obhut der Ärzte/Psychologen und diese selber müssen auf ihre Nerven achten, die manchmal arg strapaziert werden. (S. 163)
An erster Stelle wird der Humor genannt, der allen nur helfen kann. Dann Geduld, Perspektivwechsel, Pausen einlegen, persönliche Kontakte nicht vom Computer streitig machen lassen, den eigenen Raum gestalten, keine Angst vor Fehlern haben. (S. 174-178)
Nun zu den Einträgen: Auf Seite 22 ist zu lesen: „Die Postamt-Metapher psychischer Erkrankungen: Abstempeln und aufgeben!“
Hinter diesem Eintrag ins Sudelheft steht ein ganzes Paket von Kränkungen, Vorurteilen, unnötigen Schwierigkeiten. Der Autor hat sein Buch so gestaltet, dass er solch einen Eintrag hervorhebt und dann erläutert. Hinter mancher lässig dahingesagten Äußerung steckt viel Kränkung, auch Typisches für das große Feld Psychiatrie. Und in manchen Fällen werden Hinweise gegeben, die dem Praktiker vielleicht selbstverständlich sind, dem Theoretiker aber staunen machen. Z.B. „Was denken Sie, hat Ihnen in der Behandlung geholfen, wieder gesund zu werden? Antwort: Drei geregelte Mahlzeiten am Tag.“ (S. 26)
„Können Sie überhaupt mal Nein sagen? Patient: Ich glaube, eher weniger.“ (S. 41) An das Ende des Nachdenkens über diesen Sudeleintrag, das vor allem von der Möglichkeit im therapeutischen Gespräch berichtet, in einer festgefahrenen Situation die Ebene zu wechseln, auch mal die Vogelperspektive einzunehmen, hat Andreas Manteufel die Bemerkung gesetzt: Die Antwort war „äußerst elegant. Sie vereint Form und Inhalt, indem er (der Patient) die Frage wahrheitsgemäß verneint, ohne das Wort Nein zu verwenden.“ (S. 43)
„Wir haben den Patienten dreimal in der Woche angefahren.“
Ich dachte erst, der Patient sei dreimal hart ermahnt worden, aber Kenner werden natürlich sofort wissen, dass er im betreuten Einzelwohnen lebt und kontaktiert wurde. Gleich darunter noch eine Stilblüte: „Wir möchten Sie gerne ans Berufsförderungswerk anschließen .“ Das muss man sich mal vorstellen! Der gefesselte Patient. (S. 52)
Gerade die oft verdinglichte oder auch aggressive Wortwahl sollte man sich bewusst machen. Das geleistet zu haben, ist ein Verdienst des Autors und Verlages. Nebenbei scheint natürlich vieles auf, was im Alltag psychiatrischer Stationen geschieht oder geschehen kann, weil Zeit und Aufmerksamkeit Mangelware geworden sind.
„Es denkt“, kann man auf Seite 59 lesen. Eine Patientin berichtet in der Visite, wie sie ihre Denkabläufe in der Depression erlebt. Andreas Manteufel diskutiert dann die oft schwierige Entscheidung, eine Aussage von Patienten als Metapher oder als konkrete Beschreibungen zu nehmen. Die Reaktion kann jeweils unterschiedlich sein.
Eine Äußerung von Mitarbeitern: „Die Klempnermetapher: Wir haben keinen Abfluss von den geschützten Stationen, aber starken Zustrom auf die Geschlossene.“ Oder auch „Die Station entleert sich gerade.“ (S. 61) Wenn eine Aufnahme nicht möglich ist, heißt es dagegen: „Wir sind dicht.“ (S. 62)
Natürlich gehört die Aufmerksamkeit auch den Medikamenten. „Medikamente werden eingestellt, herauf- oder heruntergefahren, der Hebel wird neu angesetzt, der Patient erhält hochfrequent Therapie, aber Medikamente werden auch ausgeschlichen, als ob sich ein schlechtes Gewissen bemerkbar macht.“ (S. 63)
Wer mehr erfahren möchte, nehme sich das Buch vor. Es hat 183 Seiten stark, also handlich.

Sibylle Prins in: Psychosoziale Umschau:
Profisprache auf dem Prüfstand
Sorry, aber ich bin von Natur aus misstrauisch. Als ich die Ankündigung für dieses Buch las, dass da ein Klinikpsychologe Sätze und Gesprächsteile aus seinem Arbeitsalltag in ein Sudelheft geschrieben habe und vorstellt, dachte ich: Was soll das denn werden? Äußerungen von Psychiatrie-Patienten, ausgewertet à la »Lustiges aus Kindermund«?
Bei der Lektüre merkte ich sehr schnell, dass es sich anders verhält: Da finden sich zwar Äußerungen von Patientinnen und Patienten. Aber auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sowie Situationen, an denen beide beteiligt sind. Dazu noch Beispiele aus der Fachliteratur und Situationsbeschreibungen. Und, obwohl manche Zitate ein Schmunzeln auslösen, macht sich der Autor keineswegs lustig. Das Besondere ist nämlich, dass er nicht nur ausgebildeter systemischer Psychologe ist, sondern außerdem noch Sprachwissenschaftler. Nachdenklich, (selbst-) kritisch und gleichzeitig kreativ untersucht er, worum es bei den manchmal ein- oder mehrdeutigen, oft überraschenden Sätzen und Interaktionen eigentlich geht. Einerseits war für mich interessant, mal etwas von der »anderen Seite« über Klinikabläufe zu erfahren, zum Beispiel von Stationskonferenzen, von denen wir Psychiatrie-Erfahrenen im Allgemeinen nichts mitbekommen – außer verschlossenen Türen, vor denen wir dann stehen. Andererseits gab es auch für mich einen hohen Wiedererkennungswert: Schon zu Beginn des Buches bemerkt der Autor, dass die Patientinnen sich mit ihren Mitpatienten wohl noch in ganz anderer Weise unterhalten als mit Mitarbeitern. Wie wahr. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass wir als Patienten einer Tagesklinik in der Pause einer „psychoedukativen Gruppe“ über ganz andere Auslöser für unsere Krisen sprachen, als zuvor in der Anwesenheit der Profis. Auch solche Blüten wie einen Patienten »an die Kontaktstelle anbinden« sind mir schon unschön aufgestoßen. »Anbinden« hat ja im psychiatrischen Rahmen noch eine ganz andere, sehr wörtliche Bedeutung. Dagegen werden gewaltsamen Fesselungen sprachlich verharmlost und versachlicht als „Der Patient ging in die Gurte“.
Auch die Kanalisationsmetaphern »ein Abflussproblem auf der Station« (die Station ist überfüllt und es sind zu wenig Entlassungen in Aussicht) ist mir schon begegnet. Wobei ich mich, als ich mit diesem Profi-Jargon erstmals zu tun bekam, schon fragte, ob nicht mit dem vielgenannten »Versorgungssystem« eigentlich ein Entsorgungssystem gemeint ist.
Sehr schön präzise herausgearbeitet fand ich auch die Situationen, in denen für Patienten eigentlich gar keine Antwort mehr möglich ist, und sie dann zu Formulierungen greifen, die paradox oder sogar unverständlich erscheinen, bei genauerem Hinsehen aber die Sachlage sehr genau erfassen. Etwa: „Ich bin freiwillig abgehauen“ oder „Ich muss wohl wollen“. Darüber hinaus gefielen mir die Überlegungen zu den verschiedenen Metaphern, zu denen Menschen greifen, wenn sie Gefühle beschreiben wollen.
Der Buchtitel »Nerven bewahren« bezieht sich sowohl auf den möglichst sorgsamen Umgang mit den »Nerven« der Patientinnen und Patienten als auch mit den eigenen Ressourcen als Mitarbeiter. Bei fast allen Alltagsbeispielen reflektiert der Autor sehr fundiert und weitsichtig, wie sinnvolles professionelles Handeln gegenüber Patienten aussehen könnte. Im letzten Teil des Buches gibt er dann noch konkrete Anregungen zur Bewahrung der Mitarbeiternerven. Gelassenheit und Humor spielen eine Rolle, aber auch kleine Auszeiten, und solche wichtigen „Kleinigkeiten“ wie: antwortet man per Mail auf eine Anfrage, oder spricht man lieber persönlich mit dem Kollegen? Denn im sozialen System Klinik arbeitet niemand für sich allein.
Trotz aller Freude an der Lektüre ein kleiner Kritikpunkt: dass Menschen mit psychischen Problemen, die in einer Klinik sind, allgemein Patienten genannt werden, finde ich völlig o.k. Ich hätte mir aber gewünscht, dass der Autor dort, wo es um die Schilderung sehr konkreter, einzelner Begegnungen geht, eine etwas persönlichere Formulierung gewählt hätte, also nicht immer strikt bei »der Patient« (oder die Patientin) geblieben wäre. Klar, den richtigen Namen darf man nicht nehmen, Namen erfinden ist auch nicht immer das Beste, aber man kann ja auch »Frau A.« oder Herr X schreiben. Denn gerade dieses immer auf die Patientenrolle beschränkt sein, blendet aus, dass wir Psychiatrie-Erfahrenen einen Namen und eine über unser Patientsein hinausgehende Lebensgeschichte (und andere Rollen) haben. Das empfinde ich als unnötige sprachliche Versachlichung, also etwas, was Andreas Manteufel eigentlich gerade anprangert – Begegnung auf Augenhöhe ist das aus meiner Sicht nicht.
Verzeihung, Herr Manteufel. Ich habe Ihr Buch ansonsten nämlich sehr gern gelesen. Es ist erhellend, überraschend, nachdenklich und unterhaltsam. Ich werde es sicher noch öfter lesen. Und gerne weiterempfehlen.

Cornelia Tsirigotis in: systhema:
„Na, was sagt der Doktor?“
„Der hat gesagt, ich habe eine Psychose.“
„Und das lässt du dir einreden? Bist du verrückt?“
Dialog zweier Patienten, vom Chefarzt unbeobachtet mitgehört (S. 122)

Andreas Manteufel ist aufmerksamen systhema-LeserInnen bestens bekannt: als kompetenter Rezensent in unterschiedlichen theoretischen und praktischen Feldern: Selbstorganisation, Hirnforschung, (systemische) Psychiatrie, als Autor von wissenschaftlichen Beiträgen.
Hier lässt er uns nun sein „Sudelheft“ lesen, ein Heft, in das er seit Beginn seiner Tätigkeit in der psychiatrischen Klinik Gedanken, Erfahrungen, Geschichten und Merkwürdigkeiten eingetragen hat. Was hilft, im Klinikalltag der Psychiatrie Nerven zu bewahren? Es ist in allererster Hinsicht Humor. Andreas Manteufel erzählt seine Geschichten und Gedanken nicht einfach so, sein Wissen aus „seinen“ Themenfeldern Selbstorganisation, Hirnforschung winkt aus seinen Reflexionen, wird beim Lesen spürbar und nachvollziehbar, die Alltagsgeschichten aus der Beobachterperspektive werden mit der Fülle seines theoretischen Wissens und mit einer beispielhaften systemischen Haltung und professionellen Ethik durchdacht. Dazu kommt eine wunderbare sprachliche Ausdrucksfähigkeit und ein Sinn für feinsinnige Sprachspiele, so dass das Buch eine wahre Freude zu lesen ist und seine Lektüre zugleich fachliche Bereicherung und Gewinn mit sich bringt.
Die diese Besprechung einleitende Geschichte mit der Zuschreibung durch Arzt wie Mitpatienten ist ein Beispiel für Andreas Manteufels Freude an der Mehrsinnigkeit von Alltagssprache. Zugleich verrät die Geschichte bzw. ihr Ende auch seine professionelle Haltung zum Fachgebiet Psychiatrie: „Ich hoffe, für den in die Enge gedrängten Patienten gab es ein Entrinnen, in welcher Form auch immer. Er musste sich, um nicht ganz durchzudrehen, nicht etwa für die eine oder andere Form der Verrücktheit entscheiden. Er musste sich vielmehr von der Situation distanzieren und sein eigenes Krankheits- und Gesundheitskonzept finden“ (S. 123).
Dieses Buch ist nicht nur für in der Psychiatrie Arbeitende von Gewinn. Jeder kann Andreas Manteufels Reflexionen mit Gewinn lesen. Dieses Buch sollte man unbedingt lesen, behalten, wieder lesen, verschenken, verbreiten …

Wolfgang Loth in: Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung:
Andreas Manteufel ist seit vielen Jahren ein ebenso kundiger wie verständlicher Wegweiser im Grenzgebiet zwischen psychotherapeutischen und psychiatrischen Zugängen zu den oftmals sonderbaren Formen, wie dem tobenden Leben individueller Sinn entlockt wird, oder abgerungen, je nachdem. Dass bei „sonderbar“ nicht das Absonderliche den Ton angibt, sondern das Besondere, nicht das Verrückte, sondern das Zurechtrückende, wäre eine der Qualitäten, über die Andreas Manteufel so offenkundig verfügt. Wie mir scheint, ist diese Qualität das nun vorliegende Buch auf der Spur, in dem eine Vielzahl von über die Jahre gesammelten Eindrücken, Reflexionsfetzen und Stilblüten Anlass zu nachträglichen Betrachtungen liefern. Sie gewähren Einblick in Manteufels Art, im Betrieb einer Landesnervenklinik nicht nur zu überleben, sondern dem Humanen in seiner je eigenen Weise Gehör zu verschaffen.
Mit den Worten des Autors ist Nerven bewahren „ein Buch über Metaphern und Sprachspiele in der Psychiatrie. Und es ist ein Buch zu der Frage, wie man dort seine Nerven bewahrt. Die Antwort lautet unterm Strich: Mit einer gewissen Distanz und Humor“. Ein wenig später heißt es etwas genauer: „Ich meine nicht den Humor, der zur Abgrenzung dient, sondern den feinen Humor, den man gerne mit anderen teilt“ (S. 7). So ist es und so zieht sich eine humorvolle, verbindliche und verbindende Art wie ein roter Faden durch dieses Buch. Das Ganze ist kein Lehrstück von A bis Z, man kann darin blättern, springen, der Faden ist sofort wieder da, Skizzen, in denen sich die tragende Idee eines respektvollen Umgangs mit eigen-sinnigen Antworten auf Lebensprobleme und grundlegende Einschränkungen irgendwie holographisch wiederfindet, gleich aus welcher Richtung sich die Skizze dem Leben nähert.
„Können Sie überhaupt mal Nein sagen?“, Patient: „Ich glaube, eher weniger“, ein Beispiel für einen der Startschüsse zur Reflexion (S.41) – und es folgt eine in ihrer Kürze wunderbar stimmige Betrachtung paradoxer Kommunikation, verschwistert oder verschwägert mit der kongenial treffenden Bemerkung eines Angehörigen zu einem Patienten: „Sag dem Doktor aber auch, dass Du Stimmen hörst“ (S. 135). Wie gesagt, das könnte einen bloßstellen, tut es aber hier nicht. Manteufel achtet auf Sprache (und das, so scheint mir, nicht nur, weil er auch Sprachwissenschaftler ist), und er reflektiert sich selbst mit, wenn er über Kommunikation und ihren Rahmen nachdenkt. Der Blick von außen auf etwas wird stets begleitet von der Fähigkeit und Bereitschaft den Außenblick wieder auf sich selbst zurückzuführen – Humor, der verbindet und eben nicht auf Kosten eines Gegenübers geht.
Die Betrachtungen und Gedankenstücke bleiben nicht im Anekdotischen stecken, sondern enthalten immer wieder kleine aber feine Hinweise auf Fachdiskurse, neuere (etwa zu Chaostheorie oder Metapherntheorie) und auch nicht so gängige (etwa Hermann Schmitz´ Arbeit zu Leib, Raum und Gefühlen). Manteufel vergisst nicht den Kontext in seinen Überlegungen: Auch der Bereich der Akutpsychiatrie hat sich gewandelt und hat zu bestehen gegen ökonomische Sach-Zwänge (das fehlte noch: Sach-Zwangserkrankungen …). War es früher eher eine Not, aus der Psychiatrie nicht mehr herauszukommen, scheint es heute eher Sorgen darüber zu geben, zu früh wieder frei – gesetzt zu werden.
Zusammengefasst: Ein wunderbar leichtes Buch über schwere Seiten des Lebens und wie es möglich sein kann, sich dabei zu unterstützen. Tut gut!

Kathrin Reichel in: Ergotherapie:
Um es gleich vorweg zu sagen: Bei dem vorliegenden Taschenbuch handelt es sich nicht um ein Fachbuch im üblichen Sinne. Vielmehr hat der Bonner Psychologe und Sprachwissenschaftler Andreas Manteufel Einträge aus seinem „Sudelheft“ darin zusammengestellt.
Es ist eine Sammlung von Alltagsanekdoten und sprachlichen Paradoxien aus seinem langjährigen, „ganz normalen“ psychiatrischen Klinikalltag. Trotz dieser Form einer eher „leichten“ Lektüre kann sie zu tief greifender Reflexion über den institutionalisierten Umgang Professioneller und Patienten in der psychiatrischen Klinik anregen. Seine Alltagsbeschreibungen, Reflexionen über Sprachspiele und in der Psychiatrie gängige Metaphern nimmt Manteufel zum Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen und Zusammenhänge, z. B. über Gefühle und Gefühlsmetaphorik oder über paradoxe Kommunikation. Hier ein Beispiel: „Können Sie überhaupt mal Nein sagen?“
Patient: „Ich glaube eher weniger.“
Originell ist dabei weniger Manteufels Schreibstil als seine ungewöhnliche Perspektive und Art und Weise, über den psychiatrischen Alltag zu schreiben. Er bettet seine Überlegungen in den Kontext seiner wissenschaftlichen Arbeit über Systemkompetenz ein. Sie kann dabei unterstützen, in der Psychiatrie die „Nerven zu bewahren“. Aus persönlicher Perspektive schreibt er auch ein Kapitel über das „Normal bleiben“ in der Psychiatrie. Er empfiehlt Humor, Geduld, Anerkennung alternativer Standpunkte, Pausen, persönliche Kontakte und die Gestaltung eines eigenen Raumes. Das klingt einfach, einsichtig und ist nichts weniger als selbstverständlich.
Außenstehenden bietet dieses Buch einen ungewöhnlichen Einblick in die Reflexionen eines Psychologen. Für die in der Psychiatrie Tätigen ergeben sich möglicherweise Wiedererkennungseffekte und SchülerInnen oder Studierende werden beim Lesen angeregt, den Blick für die zwischenmenschliche Begegnung jenseits der eingenommenen Rollen und üblichen professionellen Floskeln und Phrasen offen zu halten. Kurzum: Manteufels „Rezept“, mit Distanz und Humor die „Nerven zu bewahren“, wirkt ermutigend.

Christoph Müller in: Psychiatrische Pflege heute:
„Über das, was wir den ganzen Tag erleben, könnten wir ein Buch schreiben“, tönt es immer wieder durch Dienstzimmer in psychiatrischen Kliniken oder Wohnheimen. Einer, der ernst damit gemacht hat, ist der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Andreas Manteufel. Was er in der heutigen LVR-Klinik in Bonn in zwei Jahrzehnten beruflicher Praxis erlebt hat, bildet er in dem neu erschienenen Buch „Nerven bewahren“ ab. Das Buch ist Nachdenken über die Arbeit, die er macht, und über die Menschen, denen er begegnet.
Während des Lesens wünscht man sich selber, dass man die Tradition der Sudelhefte aufgreift, die beispielsweise der Schweizer Musiker und Poet Mani Matter geprägt hat. Mit den eigenen Sudelheften hat Manteufel sich eine Vorlage gegeben für das gelungene Buch „Nerven bewahren“. Er greift viele alltägliche Szenen und viele alltägliche Sätze auf und schaut nach den tieferen Dimensionen. Jenen tieferen Dimensionen, die im psychiatrischen Alltag sicher eher in Vergessenheit geraten, statt sie aufzugreifen für die Arbeit mit psychisch veränderten Menschen beziehungsweise innerhalb der sogenannten therapeutischen Teams. Manteufel schreibt selber, was sein Buch ausmacht: ‚Nerven bewahren‘ ist ein Buch über Metaphern und Sprachspiele in der Psychiatrie. Und es ist ein Buch zu der Frage, wie man dort seine Nerven bewahrt.“
Natürlich versucht er eine kernige Antwort, bringt dabei den Humor ins Gespräch, jene Fähigkeit, die sicher vielerorts fehlt. Mit Humor meine er nicht das laute Gelächter, das einem häufig aus den Stationszimmern entgegenschalle. Er meine nicht den Humor, der zur Abgrenzung diene, sondern den feinen Humor, den man gerne mit anderen Menschen teile. Konkret: „Humor beflügelt die Kreativität, hilft dabei, Dinge einmal ganz anders zu sehen, und vermittelt eine positive, lösungsorientierte Grundhaltung.“ Die positive Atmosphäre beziehungsweise die offene Grundhaltung gegenüber der Begegnung wird in dem Buch „Nerven bewahren“ immer wieder spürbar. Dies scheint auch die Beziehung des unterstützenden Psychologen gegenüber dem psychisch veränderten Menschen auszumachen. Die Respekt widerspiegelnde Weise des Schreibens von Andreas Manteufel zeichnet sein Buch aus. An vielen Stellen erinnert man sich an Erlebnisse, die man selber im psychiatrischen Arbeitsfeld erlebt hat. So geht einem das Buch „Nerven bewahren“ auf seine ganz eigene Weise nahe. In gewisser Weise ist das Buch eine Sympathiebekundung gegenüber den Menschen, die dem psychiatrisch Tätigen für einen vorläufigen Zeitraum zur Wegbegleitung an die Seite gestellt werden. Es drückt einen tiefen Respekt gegenüber jenen aus, die der Normalität auf ihre Weise entrückt sind. Allein schon deshalb sollten viele professionell Tätige das Buch „Nerven bewahren“ in die Hand nehmen.


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