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Ermutigungen

Rezensionen

Anke Hinrichs in: Der Eppendorfer:
Ermutigungen – von einer Mutigen
Sammelband vereint ausgewählte Schriften von Dorothea Buck

Es wurde so viel über sie geschrieben und sie hat so viel von sich gegeben und bewirkt. Ausgewählte Schriften von Dorothea Buck haben jetzt gemeinsam der Anne Fischer Verlag und der Paranus Verlag Neumünster in einem Sammelband vereinigt. „Ermutigungen“ ist der Titel – und Programm der Autorin der meisten Schriften in dem Band.
Mittlerweile ist die wegen ihrer kämpferischen Geradlinigkeit hoch verehrte beständige Mahnerin 96 Jahre alt. In Bethel während der Nazizeit zwangssterilisiert, nach fünf zwischen 1936 und 1959 erlebten schizophrenen Schüben geheilt, indem es ihr sukzessive gelang, den Sinn und Hintergrund ihrer Schizophrenie zu begreifen, wie sie es beschreibt, ist sie seit Langem Ikone nicht nur der Psychiatrie-Erfahrenen, deren Verband sie mit begründete und dessen Ehrenvorsitzende sie ist.
„Auf der Spur des Morgensterns, Psychose als Selbstfindung“ hieß ihr Erfahrungsbericht, den sie 1990 unter dem Pseudonym Sophie Zerchin veröffentlichte – einem Anagramm für Schizophrenie. Dort beschreibt sie in ermutigender Weise, wie sie ihre Psychose-Erfahrung Schritt für Schritt „als Aufbruch des eigenen Unbewusstseins ins Bewusstsein“ begreifen konnte und erkannte, dass dem eine Lebenskrise vorausging, sodass sie alles in ihre Lebensgeschichte integrieren konnte. Was sie damit und durch ihr langjähriges Engagement für die Interessen von psychoseerfahrenen Menschen in Deutschland und Europa in Bewegung gesetzt hat, sei „einzigartig in der Psychiatriegeschichte der letzten Jahrzehnte“, schreibt der Verlag.
Unermüdlich kämpft sie bis heute gegen reine medikamentöse und v.a. gesprächsarme Behandlung und eine biologische Ausrichtung der Psychiatrie. Der Sammelband ist Zeugnis dieses beeindruckenden Engagements.
Es beginnt mit einem Theaterstück von ihr aus dem Jahr 1969 zur „Euthanasie“. Ferner finden sich in dem Buch unter anderem Ausführungen über Soteria als Alternative „zum entmutigenden medizinischen Krankheitskonzept“ sowie ein Gespräch zwischen ihr und Prof. Thomas Bock, mit dem zusammen sie einst das erste Psychose-Seminar in Hamburg gründete, über Eigensinn und den Sinn von Psychosen. Weitere Texte, Reden, Schreiben und Grußworte vervollständigen die Zeitreise durch die neuere deutsche Psychiatriegeschichte, die der Sammelband auch darstellt.
Das Buch schließt mit einem Beitrag der Schwester. Anne Fischer-Buck beschreibt dort, wie sie den ersten Psychoseausbruch ihrer Schwester 1936 auf Wangerooge als Angehörige erlebte. Und auch die Bedeutung von Dorothea Bucks Psychosebewältigung für ihren eigenen ebenfalls nicht leichten Lebensweg. Auch diese war: Ermutigend.

Rezension von Christine Robledo:
"… weil wir verstehen müssen, was wir erleben!"
"Jetzt beginne ich zu ahnen, was psychotisches Erleben sein kann. Es ist, als ob eine Tür für mich aufgegangen wäre." Dorothea Buck hätte gewiss ihre Freude an der Reaktion meiner Freundin auf ihren Lebensbericht: Wieder eine erreicht! Denn Türen zu öffnen ist der Künstlerin und großen alten Dame der Selbsthilfebewegung ein Lebensbedürfnis: den Betroffenen Türen zum Verstehen ihrer Psychoseerfahrung, den Mitmenschen Türen zum Verständnis für Betroffene und ihr Erleben, der Psychiatrie und Politik Türen zu den wirklichen Bedürfnissen psychoseerfahrener Menschen.
Leidenschaftlich, unbeirrbar, eigensinnig, zäh, beharrlich, kreativ, kämpferisch, zielstrebig, mitreißend sind die Eigenschaften, die mir zu Dorothea Buck spontan einfallen. Ebenso gut könnte ich sie aber auch als vermittelnd, versöhnlich, heiter, gelassen, weise beschreiben. Wer sich selbst ein Bild machen will oder nach der Lektüre ihrer Autobiografie "Auf der Spur des Morgensterns" weitere Facetten ihrer Persönlichkeit und ihres Wirkens kennenlernen will, dem sei die Textsammlung "Ermutigungen" empfohlen.
Frau Buck wagt es, der Außen-Sicht des medizinischen Psychoseverständnisses ihre aus der Reflexion eigenen Erlebens gewonnene Interpretation entgegenzusetzen. Sie wendet sich gegen die einseitige Pathologisierung des Ver-rückens, den Mythos von der sinnlosen Stoffwechselstörung des Gehirns und die daraus folgende gesprächslose, rein medikamentös orientierte Behandlung der Psychose. Unermüdlich kritisiert sie, dass Betroffene gezwungen werden, ihre Erfahrungen als sinnlos zu verdrängen und abzuspalten. Sie versteht die Psychose als Einbruch unbewusster Impulse ins Bewusstsein, fordert Hilfe zur Interpretation des psychotischen Erlebens als Reifungs- und Entwicklungsmöglichkeit, "weil man verstehen muss, was man erlebt!"
Selbstbewusst fordert sie, Patienten als Forschungspartner statt als Objekte der Forschung wahrzunehmen und zu behandeln: "Redet mit uns statt über uns!" Die Macht der medizinischen Sprache und ihre zerstörerische Wirkung auf das Selbstbewusstsein der Betroffenen hat sie schon früh erkannt und benannt.
Die Geschichte der Psychiatrie seit den 1930er-Jahren wird in ihren Texten lebendig: Die Gräuel der Nazi-Zeit hat sie am eigenen Leib erleben müssen; mit 19 Jahren wurde sie zwangssterilisiert. Und doch hat ihr gerade das erlittene Unrecht die Kraft gegeben, das Gedenken an die Opfer der Nazizeit wachzuhalten und unermüdlich ihre Rehabilitierung zu fordern. Und sich andererseits auch gegen Zwang und Gewalt einzusetzen, wie sie auch heute noch in psychiatrischen Kliniken vorkommen. Im Kampf gegen die Diskriminierung Betroffener zögert sie nicht zu protestieren, wenn durch die Presse verzerrte Bilder von psychoseerfahrenen Menschen vermittelt werden.

Aus eigener leidvoller Erfahrung in einer psychiatrischen Klinik mit kirchlicher Trägerschaft mahnt sie die Theologen, sich im Umgang mit Menschen in psychotischen Krisen am christlichen Menschenbild zu orientieren. Für Solidarität mit anderen Benachteiligten plädiert sie in ihren lesenswerten Anregungen zu einem kreativen Umgang mit Arbeitslosigkeit.
Wir erleben sie als Impulsgeberin für Perspektivwechsel und Neuanfänge in der Psychiatrielandschaft: Soteria, Behandlungsvereinbarungen und andere Selbsthilfe-Projekte und natürlich der Bundesverband Psychiatrieerfahrener, dessen Ehrenvorsitzende sie ist. Die Ex-In-Bewegung wäre ohne Frau Buck nicht denkbar. Aber auch Rückschläge bleiben nicht aus: Es muss bitter gewesen sein, als ihr Antrag auf einen Arbeitskreis für Mitbestimmung Betroffener in der Psychiatrie, der sie ein volles Jahr Arbeit gekostet hatte, 1988 vom Gesundheitsministerium abgelehnt wurde. Doch die Niederlage verwandelte sich in Erfolg: Statt des Arbeitskreises entstanden nun Psychoseseminare, in die wir ebenfalls Einblick erhalten. Der Trialog war geboren.
Auch dieses Buch ist trialogisch konzipiert: Anne Fischer bringt als Schwester die Perspektive einer Angehörigen ein. Profi-Persönlichkeiten wie Luc Ciompi, der Begründer der Soteria, würdigen Frau Bucks Leistungen. Und Thomas Bock, Mit-Initiator der Psychoseseminare, demonstriert in einem Zwiegespräch über ihre Psychose-Inhalte, wie therapeutische Hilfe zum Verstehen aussehen könnte.
Denn wie ein Leitmotiv erscheint in den verschiedenartigen Beiträgen immer wieder als zentrale Botschaft: Psychoseerleben ist sinnvolles Erleben. Interpretationshilfe ist Genesungshilfe. Dass im Paranus-Verlag nun ein Buch mit dem Titel "Der Sinn meiner Psychose" erscheinen konnte, macht Hoffnung, dass die Botschaft endlich auch Gehör findet.

Martin Osinski, Neuruppin, in: Soziale Psychiatrie:
Familiengedächtnis
„Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die äußeren Lebensumstände sich entscheidend verschlechtern.“ (Dorothea Buck, zitiert durch Sigrid Falkenstein, 2010; http://www.dgppn.de/dgppn/geschichte/kommission-zur-aufarbeitung-der-geschichte/sonderseite-psychiatrie-im-nationalsozialismus/rede-falkenstein.html)
Inzwischen ist Dorothea Buck 95 Jahre alt, und es muss nicht mehr erklärt werden, welche Bedeutung ihr Werk hat. Der runde Geburtstag ist Anlass für die Textsammlung „Ermutigungen“ mit Dokumenten aus fünf Jahrzehnten. „So wird die neue Zusammenstellung, beginnend mit ihrem Theaterstück zur 'Euthanasie’ aus dem Jahr 1969 in chronologischer Anordnung zu einer Zeitreise durch die neuere deutsche Psychiatriegeschichte ...“ (Fritz Bremer und Hartwig Hansen im Vorwort, S. 10). In der Tat, das ist es geworden, und noch einiges mehr. Insbesondere das Nachwort von Anne Fischer-Buck hat seinen eigenen Stellenwert.
Leben und Werk von Dorothea Buck illustrieren das Thema „Spiritualität und seelische Gesundheit“ (vgl. Armbruster, Petersen, Ratzke 2013) noch einmal auf mehrdimensionale Weise. Die große alte Dame der Psychiatrieerfahrenen-Bewegung ist zweitjüngste Tochter des Kirchenrats Hermann Buck (1872-1954). Der legt sich 1933 in der Gemeinde Oldenburg mit den neuen Machthabern an und wird, auch mangels Rückhalt in der Gemeinde, strafversetzt auf die Nordseeinsel Wangerooge („Hier ist der Zorn groß, aber er wagt sich wenig heraus. Die gebildete Bürgerschaft hat einen Mangel an Civil-Kurage [sic!], den ich nicht für möglich gehalten hätte.“ (zit. nach Reinhard Rittner 2004, S. 148, vgl. http://www.kirche-oldenburg.de/fileadmin/Redakteure/PDF/rittner_zivilcourage.pdf).
Auf Wangerooge gehen die Auseinandersetzungen des Kirchenmannes mit der NSDAP jahrelang weiter. In der angespannten Atmosphäre für die ganze Familie erlebt die gerade 19-jährige Tochter Dorothea 1936 ihre erste Psychose. Sie wird in die Anstalt Bethel gebracht – sowohl das Psychoseerleben am Meer wie die katastrophale Behandlung in Bethel hat sie in „Auf der Spur des Morgensterns“ beschrieben.
Dorothea Bucks drei Jahre jüngere Schwester Anne steuert in „Ermutigungen“ nun die Sicht der Angehörigen bei. Sie erlebt die sprachlose, gelähmte Situation der Familie, die mit der sprachlosen Psychiatrie korrespondiert, der Dorothea ausgesetzt ist. Absolut erschütternd ist die Schilderung einer Sequenz, in der Anne von den Eltern ausgeschickt wird, um von den Profis Rat zur richtigen Kommunikation mit Dorothea einzuholen. Die allseitige Ratlosigkeit vor Etablierung des Trialogs wird körperlich spürbar. „So entsteht aus verschiedenen Quellen die Sprachlosigkeit, mit den verheerenden Folgen, unter denen meine Schwester so gelitten hat.“ (S. 225)
Anne Fischer-Buck erlebt in ihrer Ehe mit dem Philosophen Franz Fischer weitere Tragödien. Kaum fassbar, wie konstruktiv sie auch diese Erfahrungen in ihr Leben integriert. So wird „Ermutigungen“ auch zu einem Lehrbuch für Angehörige. Schon dafür, allein für dieses Nachwort bin ich dem Paranus Verlag und natürlich Anne Fischer-Buck dankbar.
Kaufen, lesen, weitergeben!

Andreas Manteufel auf: www.systemagazin.de:
1990 erschien das Taschenbuch „Auf der Spur des Morgensterns“. Die Autorin, die sich damals noch Sophie Zerchin (Setzen Sie die Buchstaben von Vor- und Nachname einmal neu zusammen!) nannte, beschrieb darin ihre eigene Lebens- und Krankengeschichte, die aber eigentlich die Geschichte einer Heilung ist. Nach dem fünften und letzten „schizophrenen Schub“ im Jahre 1959 betrat sie psychiatrische Kliniken nur noch als Besucherin oder als Referentin. In dieser Rolle konnte ich sie, es muss um 1993/1994 gewesen sein, in unserem Bonner Landeskrankenhaus (heute LVR-Klinik Bonn) ihre Geschichte erzählen hören. Ich selbst war noch ein Neuling als Psychiatriemitarbeiter. Im Gedächtnis bleibt mir vor allem ihr eindringliches Plädoyer dafür, mit den Patienten zu sprechen und mit ihnen nach dem Sinn ihrer so genannten psychotischen Symptome zu fragen. Ich erinnere mich aber auch an die zwiespältige Haltung, mit der ihre Ausführungen bei Kollegen und Vorgesetzten aufgenommen wurden: Respekt und Kopfnicken bei den einen, ungläubiges Staunen bei den anderen, aber auch wehrhaftes Kopfschütteln bei meiner damaligen Chefin: „So ist die Psychiatrie doch längst nicht mehr“, rückte sie die Beschreibungen einer „sprachlosen Psychiatrie“ zurecht.

Dorothea Buck begann in dieser Zeit Psychiatriegeschichte zu schreiben. Auf ihr Engagement (natürlich sind da auch andere zu nennen) gehen die trialogischen Psychose-Seminare und die Gründung des Bundesverbandes Psychiatrieerfahrener zurück. Schon weit vor 1990 schrieb sich Frau Buck ihre Erfahrungen literarisch „von der Seele“, wie der vorliegende Sammelband dokumentiert. Und bis heute ist die mittlerweile 95jährige eine respektierte Gastrednerin und Mahnerin.
In den hier ausgewählten Schriften wiederholen sich viele Formulierungen fast bis hin zum Mantra, etwa der in fast allen Texten beschworene „Aufbruch des normalerweise Unbewussten ins Bewusstsein“. Religiosität und die Freudsche und Jungsche Psychoanalyse sind wichtige Grundpfeiler des Psychoseverständnisses von Dorothea Buck. Sie erzählt, wie sie mit Hilfe eigener Analysen und im Austausch mit Mitpatientinnen in den verschiedenen Kliniken die „sonst nicht gespürten Sinnzusammenhänge“ in den sogenannten psychotischen Symptomen erkennen und in ihr Leben integrieren konnte. Die Lektüre der „Spur des Morgensterns“ ist neben der hier zu rezensierenden Textsammlung noch immer eine unbedingt zu empfehlende Mischung aus Autobiographie und Psychiatriegeschichte. Es ist die Geschichte einer sprachlosen und in ihren „Behandlungsmethoden“ brachialen Psychiatrie der 30er und 40er Jahre, der Morde und Zwangssterilisationen an Kranken im Dritten Reich und der keineswegs fortschrittlichen Nachkriegspsychiatrie. Sedierende Psychopharmaka, so die Bucksche Bewertung, hätten auch ihr die Fähigkeit, über Sinnzusammenhänge nach zu denken und zu sprechen, erschwert - hätte sie die ihr verordneten Tabletten denn auch wirklich heruntergeschluckt… Auch die ängstigenden Aspekte des Wahns kommen zu Wort. Verschiedene Texte widmen sich dem Trialog, dem Thema Euthanasie und Zwangssterilisation, der „Selbsthilfe“ und dem religiösen Erleben in der Psychose. Anne Fischer-Buck, die Mitherausgeberin dieses Buches, beschließt den Band mit ihren persönlichen Gedanken zum Thema „Sinnfindung für Angehörige“.
Dorothea Bucks Geschichte ist natürlich auch die Geschichte eines erstaunlichen Wandels im Lebenslauf, in dem die Erkrankung verstanden, integriert und damit „nicht mehr notwendig“ geworden ist. Psychiater, Psychologen oder andere „Profis“ kommen als Verantwortliche für diese glückliche Wendung der Geschichte nicht vor. Ihre Gesundung musste Frau Buck ohne ihr Zutun erreichen.

Das lässt mich meine eigene Rolle im System Psychiatrie bedenken. Was ist aus der sprachlosen Psychiatrie geworden und was tragen wir Psychologen und Ärzte denn zur Heilung unserer Psychosepatienten bei? Natürlich haben wir längst erkannt, wie wichtig die Gespräche sind, die wir unseren Patienten anbieten – und sie verlangen ja auch danach. Dass wir „für sie“ die Ursachen ihres Leidens erkennen und ihnen dank unserer psychologischen Analysen die Augen für eine gesündere Lebensführung öffnen, glaube ich nicht. Eher gehe ich davon aus, dass Patienten in einem professionell und feinfühlig gestalteten Gespräch sich selbst besser organisieren lernen und sich wieder aufrichten, im besten Fall auch etwas verändern können. Was wir also vor allem beitragen, sind recht „einfache“ Tugenden wie Zeit, ein offenes Ohr, wertfreies Interesse und manchmal auch die Gabe, sich selbst zurück zu nehmen und „die Klappe zu halten“. Eine ältere, traumatisierte Patientin erzählte mir zum Beispiel ausführlich von den lange zurückliegenden gewalttätigen Ereignissen, ohne dass ich außer ein paar Lückefüllern zu Wort gekommen wäre. Es war wohl das erste Mal, dass sie das wagte und ihr Abschlusskommentar an mich war: „Gut, dass wir darüber gesprochen haben“ (beschrieben in meinem Buch „Nerven bewahren“ im Paranus-Verlag 2012).
Aber: Die jüngsten Entwicklungen in der Psychiatrie, wie überhaupt in Medizin und Psychotherapie, machen es immer schwieriger, die erforderliche Zeit für die Patienten auf zu bringen. Immer mehr wird das regelmäßige Gespräch zum „Luxusartikel“ in einer stationären Behandlung. Es wird kürzer, während wir zu immer mehr und vorgestanzter Dokumentation gezwungen sind. Die „Prüfkriterien“ für eine stationäre Behandlung werden strenger, und für die eh schon gekürzten Zeiten der stationären Behandlung müssen immer aufwändigerere Begründungen gefunden werden. Unter ganz anderen institutionellen Voraussetzungen als sie von Frau Buck beschrieben werden, ist auch heute wieder das ruhige, konzentrierte Gespräch mit den Patienten alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das schlimmste wäre nun, wenn wir uns an diese Situation anpassen und am Ende selber daran glauben, dass es ausreicht, stationäre Psychiatriepatienten durch einen Schnellkurs in Psychoedukation zu jagen, während sich ihr Gehirn an den Segen und den Fluch („Nebenwirkungen“) von Psychopharmaka gewöhnen darf.
Die Bücher, und speziell das hier besprochene, von Dorothea Buck sind also in ihrer kritischen Ausrichtung ganz aktuell. Ihre Sprache ist klar und eindringlich, sie ist mahnend, aber nicht pathetisch oder polemisierend. Ihr Ziel ist es, eine Psychiatrie im Dialog und unter Mitbestimmung derer, die von psychischer Erkrankung betroffen sind, auf zu stellen. Ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit, mit der sie immer wieder ihre eigenen Erfahrungen weitergibt, gebührt mein Respekt.

Daniela Schreyer in: Kontakt:
Ermutigung
Im vorliegenden Buch stellt uns Dorothea Buck, die große alte Dame der deutschen Bewegung der Psychoseerfahrenen, ihre liebsten und wichtigsten Texte vor und entführt uns einerseits auf eine Zeitreise durch die deutsche Psychiatrie des letzten Jahrhunderts. Andererseits begleitet sie uns auf die „Spur des Morgensterns“ (so ihr gleichnamiges Buch), und meint damit metaphorisch den Weg in den Kern unseres Mensch-Seins, der sich ihrer Erfahrung nach in der Psychose, dem Aufbruch des eigenen Unbewussten ins Bewusstsein, offenbart.
Aufgrund von fünf psychotischen Schüben war D. Buck zwischen 1936 und 1959 in verschiedenen psychiatrischen Anstalten, wo sie in einer „gesprächslosen Psychiatrie“, an der sich Buck als „unerbittliche Mahnerin gegen das Verdrängen“ (S.11) Zeit ihres Lebens abarbeiten wird, die entwürdigendsten Erfahrungen bis hin zur Zwangssterilisation machen musste. Trotz ihres Stigmas schaffte sie die Aufnahme an der Frankfurter Kunsthochschule und wurde Bildhauerin. Ihr künstlerisches Schaffen trug zur persönlichen Stabilisierung bei. „Ich brauchte für die menschliche Entwertung einen Ausgleich. Wer bis in den Kern seines Wesens entwertet worden ist, braucht Erfahrungen, die sein Selbstvertrauen wieder herstellen.“ (S.17) Eine ihrer ersten Plastiken war eine sich im Schmerz aufbäumende Frau.
Buck ist ein großes Anliegen, den häufig im Zusammenhang mit Schizophrenie gebrauchten Begriff der „Spaltung“ zu relativieren. "Ich habe mich während meiner akuten Krankheitsphasen nie gespalten gefühlt, sondern immer nur ergriffen von einem unerhörten märchenhaft-apokalyptischen Sinnzusammenhang, der äußerst schwer zu durchleben war und mich von daher der Alltagswelt ferngerückt hat … Ich habe mich dabei nie wie ein gesprungenes Gefäß gefühlt.
Mein Lebens- und Weltgefühl entsprach eher dem eines Menschen, dem plötzlich klar wird, dass unter seinem Wohnraum tiefere Stockwerke sind und über ihm höhere, und dem sich plötzlich diese Stockwerke, die zu dem großen Menschenhaus gehören, von unten und oben her erhellen …
Diese Erfahrung aber widerspricht der Grunderfahrung der Zerrissenheit. Eher gibt sie die Erfahrung einer größeren Einheit wieder.“ (S.69)
Ihre große Mission ist es daher auch, dass die Betroffenen die Psychoseerfahrung sinnhaft als Botschaft, die aus ihnen selbst kommt und sich Gehör verschaffen möchte, verstehen und somit in ihre Identität integrieren können. Dazu braucht es nicht primär Psychopharmaka, die diese Erfahrungen wieder unterdrücken, sondern Menschen, die dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen. Als sie nach einem psychiatrischen Behandlungsmodell gefragt wird, wo sie diese Grundsätze erfüllt sieht, nennt sie das Soteria-Modell von Luc Ciompi in Bern.
Eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse, nämlich dass in der Psychose, wie bei Träumen, ihr eigenes Unbewusstes zu ihr spricht, konnte sie durch die interessierte Beobachtung der Psychose einer Mitpatientin machen und sie beschreibt sie so: „Fortan sah ich auch meine eigene Psychose nicht mehr als 'eingegeben', sondern ebenso wie unsere Nachtträume aus meinem Unbewussten aufgebrochen. Das ist deshalb so notwendig zu wissen, weil nur das aus sich selbst Hervorgegangene verstanden und kritisch hinterfragt werden kann. Solange wir es als von Gott oder anderen Mächten eingegeben bewerten, wagen wir nicht einmal, Zweifel an seiner Wahrheit zuzulassen.“ (S.163)
Dorothea Buck war eine der MitbegründerInnen der Hamburger Psychose-Seminare (in Österreich Trialoge). Ihr war es immer wichtig, das „Somatosedogma“ der Psychiatrie, also der ausschließlich biologische Blick auf psychiatrische Erkrankungen als krankhafte, sinnlose Prozesse im menschlichen Gehirn, zu entmachten und nach dem Zitat von Viktor von Weizsäcker „Den Menschen als Subjekt in die Medizin wieder einzuführen“. „Selbsthilfe heißt daher für uns: die Befreiung vom entmutigenden psychischen Fachverstand, um eine auf unseren Erfahrungen gründende Psychiatrie zu erreichen.“ (S. 159)
Im letzten Kapitel „Sinnsuche und Selbstfindung als Angehörige“ kommt die Schwester von Dorothea Buck, Anne Fischer, zu Wort. Anne Fischer hat nicht nur als jüngere Schwester die psychische Erkrankung von Dorothea miterlebt, sondern psychische Erkrankung noch unmittelbarer und schmerzvoller durch den Suizid ihres Mannes, eines Philosophen, erlitten. Sie bringt in folgendem Satz eine der Grunderfahrungen und Lebensaufgaben des Angehörigen-Seins auf den Punkt: „Das Wichtigste war für mich, den Sinn des Leides eines sehr nahen Menschen zu akzeptieren. Und es war auch das Schwerste.“ (S. 230) Um diesen Weg, vielleicht kann man ihn als eine Art Lebensaufgabe für Angehörige bezeichnen, gehen zu können, ermutigt A. Fischer, sich Hilfe zu holen: „Wir mitleidenden Angehörigen haben dringend einen fachkundigen Menschen nötig, der uns zuhört, damit sich unser Erleben im Gespräch ordnet und wir unsere Aufgabe verstehen. Das kann ungeahnt ermutigend sein, weil dann im Erzählen auch die ganze bunte Lebenswelt zum Tragen kommt.“ (S. 234)


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