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Ich, das Krisenzentrum

Rezensionen

Lilo Rumbler in: TABU – Informationen zu Psyche, Psychiatrie und Psychotherapie:
Es gibt kaum eine Seite im Buch von Ingrid Mertz, von der ich mich nicht ganz persönlich angesprochen fühle und die ich nicht aus eigenem Erleben bestätigen könnte. Es ist die schmerzliche Geschichte einer Mutter für Mütter. (...) Zitat: "Und dass ich müde bin, merkt auch keiner. Ich lass mir nicht so leicht in die Karten gucken. ... Ich bin so cool, ich bin so klasse, kein bisschen hysterisch ...." Ich bin geneigt zu fragen: Woher kennt sie mich? Ingrid Mertz' Schilderungen beeindrucken mich, es könnten beinahe ausschließlich meine sein. Sie schreibt über die Maßen ruhig und flüssig, leicht verständlich, mit viel Humor (den braucht man einfach, und sie hat ihn wirklich), dennoch, man spürt ihr Leid. Ganz gleich, ob sie über ihre Mutter, ihren Ex-Mann, aber vor allem über ihren Sohn Felix schreibt. (...) Auf jeder zweiten Seite ihres Buches sage ich laut "ja", und am Ende des Buches (in tiefer Nacht, so ist das bei mir mit spannenden Büchern) entringt sich mir ein Aufstöhnen. (...) Dieses ehrliche Buch ist sehr lesenswert, besonders für andere Mütter, aber auch für Kinder erkrankter Mütter, Ehepartner von Betroffenen, vielleicht auch für Professionelle und Betroffene selbst.

Andreas Manteufel in: systhema 2/2008:
Einen besseren Einblick in die ungeschönte Realität des Lebens mit psychischer Erkrankung finden Sie nicht. Ich möchte gerade den Kolleginnen und Kollegen (den 'Profis') empfehlen, neben Zeitschriftenartikeln und Forschungsberichten auch solche Literatur zu lesen. Dies sind die Erfahrungen, mit denen die betroffenen Menschen zu uns kommen. Diese Geschichten erst einmal anzuhören, hilft häufig mehr als viele gute Ratschläge.

Christine Theml in: Nicht ohne uns:
Ich hoffe mit der Autorin, dass das Buch allen, die eine ähnliche Last tragen, eine Stütze sein kann und denen, die verschont geblieben sind, das Buch aber in die Hände bekamen, zu tieferem Verständnis für die schwierige Situation der Betroffenen und Angehörigen verhelfen kann.

Sibylle Prins in: Psychosoziale Umschau:
Schonungslos und solidarisch
Zwei Vorbemerkungen zu diesem Buch vorab: wenn man als Psychiatrie-Erfahrene Berichte von Angehörigen liest, insbesondere von solchen,die von ihrem psychisch erkrankten Familienmitglied viel zu ertragen hatte, kriegt man ungute Gefühle. Man denkt sich, trotz aller mobilisierten Abwehr: was sind wir Betroffenen doch für Quälgeister, wie machen wir anderen Menschen das Leben schwer, was sind wir doch für eine Last für unsere Umwelt. Und so, obwohl die eigene Geschichte eine ganz andere ist als die dargestellte, fühlt man sich, obwohl objektiv unschuldig an der berichteten Situation, stellvertretend (mit)schuldig...hört das denn nie auf?
Das andere, was mir auffällt ist, dass offenbar besonders jene Angehörige Bücher schreiben, deren Geschichte besonders leidvoll ist, und die dann eher schlecht oder sehr offen ausgeht. Selbstverständlich ist es notwendig, dass auch diese Beispiele erzählt werden, denn, wie die Autorin des vorliegenden Bandes zurecht anmerkt, kann darin ein Trost für andere mit ähnlichem Schicksal liegen. Mich wundert es nur deshalb ein wenig, weil Menschen ja sonst auch gerne mal von einem guten Ausgang lesen wollen. Aber diejenigen Angehörige, deren betroffenes Familienmitglied nach einer Zeit der Irrungen und Wirrungen einen ganz guten Weg gefunden hat, die Familie ein neues, verändertes Gleichgewicht lebt, fühlen sich offenbar nicht bemüßigt, darüber Bücher zu schreiben....
Trotz dieser subjektiven Vorbehalte: das Buch von Ingrid Mertz konnte ich, einmal angefangen, nicht mehr aus der Hand legen. Es ist auf eigene Art mitreißend geschrieben. Die Autorin ist gleich in dreifacher Hinsicht als Angehörige betroffen: als Tochter einer psychisch kranken Mutter, deren „Krankheit niemand kennt und die außer ihr niemand hat“ - als sie später im Erwachsenenalter die Diagnose „Schizophrenie“ erfährt, muss sie das erstmal verdauen- was ihr Leben als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene in besonderem Maße dominiert. Als Ehefrau ihres ersten Mannes, der im Laufe der Ehe sowohl eine Alkoholsucht als auch eine psychische Erkrankung entwickelt. Als Mutter eines Sohnes, der im jungen Erwachsenenalter psychotisch wird. Und immerzu ist sie in der Verantwortung. Mertz erzählt ihre eigene Lebensgeschichte unter solchen Umständen, aber auch in kritisch-verständnisvoller Weise die Geschichten der drei Erkrankten (und teilweise der Behandlungsodysseen) – jeweils für sich und doch auch miteinander verwoben. So entsteht ein tieferes und auch abgerundeteres Bild. Da alles so offen und schonungslos beschrieben wird, alle Bereiche vorkommen, die eine Rolle spielen- Arbeit, Geld, Liebe, Sexualität, Aggressivität, Alkohol, Drogen, Gefühle der Scham gegenüber der Umwelt, Sehnsüchte, hat man beim Lesen das Gefühl, ganz nah am Geschehen dran zu sein. Manchmal wirft die Autorin sich vor, die psychische Erkrankung ihres Mannes und Sohnes nicht früher erkannt zu haben, allzu blind gewesen zu sein- nach der Erfahrung mit ihrer Mutter hätte sie das doch sehen müssen- wobei ich denke, es ist ja nicht Aufgabe von Angehörigen, mit einer diagnostischen Brille auf der Nase ihre Familie zu betrachten. Trotz aller Probleme werden auch die wenigen, stützenden Faktoren genannt: die Großeltern, Freundschaften, der Beruf, manchmal professionelle Unterstützung. Mertz berichtet die Ereignisse in einer sehr konkreten, alltagsnahen Weise, die dramatischen Ereignisse in einem lakonischen Stil, gewürzt mit eigenen Kurzkommentaren bzw.-reflexionen. Dieser Stil, und die gleichzeitig kritische, manchmal durchaus aggressive sowie andrerseits tief mitfühlende und solidarische Haltung gegenüber den erkrankten Familienmitgliedern machen das Buch so gut lesbar. Man vergisst darüber beinahe, dass sie, die Autorin, es ja ist, die in dem ganzen Szenario mit ihren Bedürfnissen und Interessen wesentlich zu kurz kommt -oder sind eigentlich alle Beteiligten in Wahrheit „Zukurzgekommene“?- erst ganz am Schluss erwähnt sie dieses Thema ausdrücklich. Doch der letzte Absatz besteht dann wieder aus guten Wünschen für die drei Erkrankten. Einen Wunsch für sich selber hätte sie ruhig hinzufügen dürfen.


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