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Ende der Veranstaltung (Neuausgabe)

Rezensionen

Klaus Weise in den „Sozialpsychiatrischen Informationen“:
»Ende der Veranstaltung« ist eines der wichtigsten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Es ist ein sehr notwendiges Buch.

Beatrix Brunelle in der „Psychosozialen Umschau“:
Ein Buch voll spannender und zum Teil revolutionärer Ideen, das viele Mauern niederreißt, nicht nur die Klinikmauern für die Langzeitpatienten in Gütersloh.

Michael Emmrich in der „Frankfurter Rundschau“
Allein in Gütersloh, mit einem Einzugsbereich von einer Million Menschen, konnten jedes Jahr 15 Millionen Mark Steuergelder gespart werden.

Hartwig Hansen im „Brückenschlag“:
„Soll also zukünftig keine/r mehr behaupten, »es ginge nicht«“.

Ursula Plog in Dr. med. Mabuse:
Dieses Buch ist ein außerordentlich wichtiges Buch! Es erzählt eine wahre Geschichte, die es so nie wieder geben wird, es dokumentiert Erfahrungen, die, wenn man so will, Epoche machen und historisch sind. Es erzählt vom Ende der Ver-Anstaltung psychisch Kranker und vom Anfang einer Psychiatrie für chronisch psychisch kranke Menschen. Es dokumentiert 15 Jahre Arbeit der De-Institutionalisierung der psychisch Kranken, die vorher als sogenannte Langzeitkranke im Landeskrankenhaus Gütersloh gelebt haben.
Um Rechenschaft ablegen zu können, hat eine Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zu der auch alle Autoren des Buches gehören - und einige mehr, sieben Jahre zusammengearbeitet, Daten gesammelt und ausgewertet, Katamnesen durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchung legen zwingend nahe, dass kein chronisch psychisch Kranker dauerhaft in einer Institution (Klinik oder Heim) leben muss.
435 chronisch psychisch kranke Menschen sind in dem Zeitraum von 1981 bis 1996 aus der Langzeitbehandlung des Landeskrankenhauses Gütersloh entlassen worden. Davon sind 70 bis 80 Prozent in eine normale Wohnung mit und ohne Betreuung gezogen und haben eine Arbeitsmöglichkeit gefunden. Die anderen sind in Heime gezogen, möglicherweise, weil die Gruppe der De-Institutionalisierer anfangs unerfahren und zu ängstlich war, oder weil es in den von Gütersloh weiter abgelegenen Gemeinden keine gefügte gemeindepsychiatrische Infrastruktur die finanzielle Möglichkeit des dezentralen Kleinstheims entdeckt hat. Die Gruppe ist jetzt überzeugt, dass auch die Menschen, die ins Heim gezogen sind, auch ziehen wollten, und dies nicht hätten tun müssen, wenn die drei genannten Faktoren hätten berücksichtigt werden können.
Zwei grundlegende Voraussetzungen für die geleistete Arbeit werden genannt: die eine ist das Hören-Können, auch das Zuhören, die zweite ist das Zeit haben und das Zeit geben. Klaus Dörner nennt das Buch behutsam eine Hörhilfe für andere Profis, die von dem Buch lernen wollen. Durch das Hören, das Zuhören, hat die Gruppe gelernt, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen wahrzunehmen, die so lange (längstens über 70 Jahre) in der Anstalt lebten, also veranstaltet waren. Zum Zuhören und vor allem zum Gewinnen von Glaubwürdigkeit gehört Zeithaben. Klaus Dörner beschreibt, wie viele Menschen zunächst nicht vertrauten, nicht glauben mochten, dass sie wirklich nach ihren Wünschen gefragt wurden. Viele brauchten daneben auch Zeit, überhaupt Wünsche in sich wieder aufsteigen zu lassen. Schon diese Überlegungen deuten an, wie radikal die Profis ihre Haltung gegenüber den kranken Menschen ändern mussten.
Nur die Verwirklichung der beiden Voraussetzungen konnte dazu führen, dass in Gütersloh nicht ein „Enthospitalisierungsprogamm durchgezogen“ wurde, sondern dass dem einzelnen Menschen die Hilfe zukam, die er wollte. Die meisten wollten allein in eine Wohnung ziehen. Ein
interessanter Gedanke, der in dem Kapitel von Christian Zechert: „nach der Entlassung verstorben“ auftaucht - und belegt wird, besagt, dass selbst Menschen, die dem Sterben nahe sind, lieber in den eigenen vier Wänden sterben. Sie drängen deswegen gegen die Skepsis der Helfer auf ihre Entlassung und haben, wie Beispiele zeigen, außerhalb der Anstalt oft noch mehr gelebtes Leben als in den vielen Jahren des Lebens in der Anstalt. In dem Kapitel von Christian Zechert wird festgehalten, dass diejenigen ehemaligen Langzeitpatienten, die starben, zu vier Fünfteln innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Entlassung starben, und 22 der insgesamt 74 starben im ersten Jahr nach der Entlassung. Zechert resümiert, dass alte und jüngere der entlassenen Langzeitpatienten der besonderen Fürsorglichkeit und Beachtung gerade auch wegen ihrer körperlichen Erkrankungen bedürfen. Die hohe Zahl der körperlichen Begleiterkrankungen, die Schwierigkeit der neuen Helfenden, auch der (für die Langzeitkranken ja neuen) Hausärzte, die zum Teil verschlüsselten Botschaften zur körperlichen Befindlichkeit dieser Patienten zu verstehen, die neue, ungewohnte, aber notwendige und erforderliche Eigeninitiative, die "fremden" Helfer auf Symptome aufmerksam machen zu müssen, lässt erkennen, warum bei der Entlassung von Langzeitpatienten den körperlichen Beschwerden eine mindestens ebenso große Bedeutung zukommt wie den psychologischen Beschwerden. An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass es sich bei der Arbeit der Gütersloher Gruppe keinesfalls nur darum handelt, Menschen, die lange in der Anstalt waren, aus der Anstalt heraus zu bekommen. Das, was unter De-Institutionalisierung verstanden wird, greift weiter, weil für und mit jedem einzelnen Menschen gewissermaßen eine neue, eine passende, eine freie Bindung gesucht und gefunden wird. Menschen, die sich nicht zu anderen trauen, werden besucht, gleichzeitig wird mit jedem darüber nachgedacht, welcher Tätigkeit er nachgehen könnte - dies unter dem Gesichtspunkt, dass nur Integration in das Wirtschaftssystem Schutz vor Ausgrenzung garantiert. Jeder Mensch will notwendig sein. So ist die Arbeitsrate der ehemaligen Langzeitpatientinnen und -patienten in Gütersloh hoch. Zwar scheint, zumindest nach einer der sehr differenziert vorgetragenen Untersuchungen, die in diesem Buch referiert sind, die Arbeit kein Schutz vor psychischen Krisen zu sein. Aber ein Arbeitsplatz erhöht die Lebensqualität und das Wertgefühl des einzelnen Menschen. Ein Arbeitsplatz erhöht auch die Bindung und damit sind vorkommende Des-Integrationen, wie Krankheitskrisen sie nun mal darstellen, nicht so bedrohlich.
Solche zuverlässigen Bindungen in der Gemeinde vermindern auch die Gefahr des Rückfalles in Ver-Anstaltungen. Damit wird die Frage nach einer neuen, einer Psychiatrie, die sich an den Bedürfnissen der chronisch psychisch Kranken orientiert, unausweichlich.
Einen weiteren Aspekt dieses Versuches, die De-Institutionalisierung zu festigen, die Gefahr der Veranstaltung zu bannen, ist in folgendem Beispiel gefasst: Seit Anfang der neunziger Jahre wurde von seiten der psychiatrisch Tätigen im Rahmen eines Lehrer-Arbeitskreises mit Schulen der unterschiedlichen Typen zusammengearbeitet. Das didaktische Ziel war und ist, dass jeder Schüler nach Möglichkeit einmal in seiner Schulkarriere ein konkretes Begegnungsprojekt mit chronisch psychisch Kranken oder geistig Behinderten mitmachen soll, durchaus, um sich der Fremdenangst auszusetzen, und um dabei zu lernen, wie man diese konstruktiv wenden kann. Es ist zu vermuten, dass dies ein Leben lang wirkt. Dieser Aspekt ist wichtig, weil er verdeutlicht, dass für die Bindung der psychisch Kranken an ein Leben in der Gemeinde, in der Gesellschaft, auch die Mitglieder der Gesellschaft sich ändern müssen, um der Bindung die nötige Haltbarkeit und Zuverlässigkeit zu geben, so dass Vertrauen entstehen kann. Soweit reichen die Gründlichkeit, die Liebe und die Sorgfalt des Ansatzes der Gütersloher Arbeitsgruppe, dass sie danach trachten, dass langjährige hospitalisierte Menschen eben wirklich in der Gesellschaft ankommen.
Klaus Dörner nennt abschließend sechs gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen: 1. wir werden immer weniger Klinikbetten haben, 2. immer weniger Heimplätze, 3. immer weniger Sozialstaat, 4. immer weniger Fremdhilfe, 5. immer weniger soziale Professionalität und 6. immer weniger soziale Sicherheit durch Ausgrenzung. Nur die Beachtung dieser Bedingungen erlaubt Fantasie und Planung für die zukünftige, an der Möglichkeit chronischer psychischer Erkrankung orientierter Psychiatrie.
In dem bisherigen Überblick wurde dem leitenden Gedanken des Werkes gefolgt. Es soll hier noch auf drei wesentliche Merkmale hingewiesen werden. Das Werk enthält eine große Anzahl einzelner Untersuchungen, die außerordentlich lesenswert und bedenkenswert sind, z.B. das Nachdenken über das Erfordernis, Krankengeschichten in Lebensgeschichten umzuschreiben, oder über das Frauenschicksal, Langzeitpatientin zu sein. Oder über die Auswirkung der Klinik auf das Zeitempfinden schizophrener Patienten, oder ... oder ...! Das zweite erwähnenswerte Merkmal ist der Anhang, der die Sammlung der Daten in Tabellen und Grafiken enthält, so dass die Datenbasis der unterschiedlichen Einzeluntersuchungen und der Gesamtarbeit sehr aufgefächert und differenziert nachgesehen werden kann. Das dritte aufzuführende Merkmal ist die Sprach dieses Buches: De-Institutionalisierung durch Auflösen der Fachsprache in die allgemeinverständliche Sprache.


Alexander Brandenburg auf www.socialnet.de zur Neuausgabe 2015:
Entstehungshintergrund
Wegen seiner nachhaltigen und besonderen Bedeutung erscheint 2015 dieses erstmalig 1998 im Verlag Jakob van Hoddis und 2001 erweitert im Paranus Verlag erschienene Werk als Neuausgabe mit einem aktuellen Geleitwort von Klaus Dörner.

Thema
Das Landeskrankenhaus Gütersloh hatte seit 1919 die Versorgung für ein großes Einzugsgebiet. Bereits 1930 hatte diese Anstalt über 1.000 Patienten; Ende der 1950er Jahre war mit 1.400 Patienten der Höchststand erreicht. Gütersloh war ein Großkrankenhaus, eine psychiatrische Anstalt also.
Ihr erster Direktor Hermann Simon richtete die ganze Anstalt nach dem Konzept der aktivierenden Krankenbehandlung aus („Aktivere Krankenbehandlung in der Irrenanstalt“, so der Titel seiner Veröffentlichung 1929) und wurde zum Pionier der systematischen Arbeitstherapie, die die damals in Deutschland vorherrschende Bettbehandlung ablöste. Simon sollte allerdings später die erbbiologischen Faktoren überbewerten und sich sozialdarwinistischen und eugenischen Gedankengängen anschließen. Er setzte sich aktiv für die Um­setzung euge­nisch-rassenhygienischer Konzepte im Nationalsozialismus ein.
In der NS-Zeit trugen alle Provinzialheilanstalten zu der Sterilisierung Tausender von Menschen und zum Massenmord an psychisch kranken Menschen bei.
Mit Walter Schulte, der die Gütersloher Anstalt von 1954 bis 1960 leitete, begann recht eigentlich ein neues medizinisch-therapeutisches Umdenken, das im Patienten keinen Fall oder ein Objekt, sondern hinter dem Krankenbild die Persönlichkeit des Kranken sah.
Walter Theodor Winkler, Chefarzt von 1961 bis 1980 in Gütersloh, profilierte sich als Pionier bei der Einführung der Psychotherapie, Gruppentherapie sowie der Teamarbeit in der Pflichtversorgung und öffnete das Krankenhaus für eine sozialpsychiatrische Fachdiskussion und für die Anfänge eines gemeindenahen Versorgungssystems. Sein Mitstreiter war Alexander Veltin, der von 1961 bis 1971 als Leitender Arzt in Gütersloh tätig war und dort u. a. bereits auf einer offenen Männerstation die Therapeutische Gemeinschaft (Maxwell Jones) einführte, bei der es um die Humanisierung der Psychiatrie u. a. durch die Realisierung gemeinschaftstherapeutischer Konzepte und psychotherapeutische Gruppenarbeit geht.
Man erkennt: In den bisher wenig wahrgenommenen 60er Jahren gab es schon reichlich, aber natürlich nicht ausreichende Reformbemühungen. Die Schulpsychiatrie befand sich in einer Phase der Umorientierung. Die Einrichtungen und Dienste, die in der Psychiatrie-Enquete als Orientierungsrahmen genannt werden, sind fast alle schon Ende der 60er Jahre und Anfang der 70er Jahre diskutiert und in Ansätzen realisiert worden. – Außerdem wäre ohne die großen Fortschritte der Psychopharmakatherapie seit den 50er Jahren keine Psychiatriereform möglich gewesen, da die Inanspruchnahme nicht-stationärer Angebote und der Einzug in die Gemeinde eine gewisse medikamentös unterstützte persönliche Organisiertheit und mehr Selbständigkeit der Patienten voraussetzt (Theo R. Payk). Ohne biologischen Ansatz kann man nicht sozial arbeiten.
Es war also keine Stunde Null in den Reformprozessen, als Klaus Dörner die Bühne betrat und von 1980 bis 1996 die Gütersloher Anstalt leitete. Noch 1980 hatte die Anstalt 800 Patienten, die von 24 Ärzten, 6 Sozialpädagogen, 5 Psychologen und 300 Pflegekräften versorgt wurden; die Pflichtversorgung betraf ein Einzugsgebiet von 1.000.000 Menschen. Es ging nun darum, aus der Anstalt eine moderne psychiatrische Klinik mit Sektorversorgung zu machen und das Ende der durch Langzeitbereiche geprägten Anstalt einzuleiten. Die Auflösung des Großkrankenhauses Gütersloh stand auf der Agenda. Ohne die Unterstützung des Landschaftsverbandes-Westfalen-Lippe als des Trägers der Gütersloher Anstalt wäre ein solches Vorhaben sicherlich nicht realisierbar gewesen.

Herausgeber
Zum Herausgeber Klaus Dörner, dem 1933 in Duisburg geborenen Psychiater und Soziologen, ist eigentlich nichts Neues zu sagen. Jeder an der Sozialpsychiatrie Interessierte kennt seinen Namen und hat bereits eines seiner Bücher gelesen oder jedenfalls in der Hand gehabt. Ich erwähne gleichwohl die für viele wegweisenden Bücher: „Bürger und Irre“ und das mit Ursula Plog verfasste Lehrbuch der Psychiatrie „Irren ist menschlich“.
Vielleicht ist der Hinweis nicht uninteressant, dass auch Arnold Gehlen, Helmut Schelsky und Hans Bürger-Prinz, bei dem er u. a. in Hamburg ausgebildet wurde, nach eigener Aussage einen prägenden Einfluss auf ihn ausübten. Die von Dörner oft vertretenen „fortschrittlichen“ Positionen in Politik und Psychiatrie lassen einen solchen Einfluss jedenfalls nicht selbstverständlich erscheinen; es sei denn, man sieht deren oft radikal anmutende Formen in der Notwendigkeit einer entschiedenen Ablösung von alten Prägungen begründet. Darüber hinaus überlagerten die sozialen Aspekte der Psychiatrie oftmals deren klinisch- biologisch relevanten Bestandteile, was insbesondere bei der heutigen Renaissance der biologischen Psychiatrie problematisch erscheint.

Aufbau und Inhalt
Worüber wird in diesem Buch konkret berichtet? Es wird über die Entlassung aller 435 psychiatrischen Langzeitpatienten des Landeskrankenhauses Gütersloh im Zeitraum von 1981 bis 1996 berichtet, also über einen 15jährigen Prozess der De-Institutionalisierung. Eine Gruppe, der alle Autoren angehört haben, hat über sieben Jahre lang in der nebenberuflichen Freizeit alle Daten über die Ex-Langzeitpatienten gesammelt und im Zeitraum von 1993 bis 1996 Nachgespräche und Katamnese-Interviews geführt. Es ging dabei vor allem um die Frage, wie sie mit ihrem neuen Leben in der Gemeinde bisher zurechtkommen und ob sie zufrieden sind. Die Ergebnisse der Untersuchung münden der Gruppe zufolge im empirischen Nachweis, dass kein chronisch psychisch Kranker dauerhaft in einer Institution (Klinik oder Heim) leben muss und darf- vorausgesetzt, unsere Beziehung mit ihm ist angemessen professionell. Wir werden auf dieses Untersuchungsergebnis noch zurückkommen.
Klaus Dörner bestreitet knapp ein Drittel der Textseiten: Geleitwort, Vorwort, Einleitungen zu den meisten der dreizehn Abschnitte und eine Anzahl eigener Beiträge. Es werden von ihm u. a. folgende Themen werden bearbeitet:

Kurzer Abriss der Psychiatrie in Deutschland
Zusammenfassung der De-Institutionalisierung in Gütersloh
Interpretation der Ergebnisse der begleitenden Untersuchungen
Beschreibung der Chronisch-Kranken-Psychiatrie
Angehörige und chronisch-psychisch Kranke
Enthospitalisierung und/oder De-Institutionalisierung
Schaffung einer Gemeindepsychiatrie Lebensbedingungen, Strukturen, Klima)
Arbeit und Wohnen
Zeitbegriff in der Chronisch-Kranken-Psychiatrie
Kostenträger und Ökonomisches Denken
Zukunft der De-Institutionalisierung
Außerdem enthält die Publikation folgende Beiträge:

Fragen an die Bedeutung der medizinisch-psychiatrischen Diagnose für die Rehabilitation chronisch-psychisch kranker Menschen (Christiane Rasmus)
Frauenschicksal:Langzeitpatientin (Lisa Hördemann)
Nach der Entlassung verstorben. Zur Mortalität der ehemaligen Gütersloher Langzeitpatienten (Christian Zechert)
Integration der Nichtintegrierbaren?- Systemsprenger oder das Salz der Erde (Elisabeth Hopfmüller)
Wie können psychiatrische Langzeitpatienten sich ermutigen, ein Leben außerhalb der Klinik auszuprobieren? (Elisabeth Hopfmüller)
Warum es sich lohnt, eine Lebensgeschichte zu schreiben (Michael Schiebel)
Konsequenzen der De-Institutionalisierung für psychiatrische Abteilungen oder Kliniken (Matthias Heißler)
Brauchen wir noch Heime für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen (Peter Netz)
Von Gütersloh ins Heim: Was unterscheidet Heimbewohner von Wohnungsinhabern? (Fritz Landzettel)
Die Entwicklung der gemeindepsychiatrischen Versorgungslandschaft während der De-Institutionalisierung der WK Gütersloh (Bernd Meißnest)
Auswirkungen der Klinik auf das Zeitempfinden schizophrener Patienten (Marie Beatrice Charlin)
Zur Bedeutung von Arbeit im heutigen Leben der Langzeit-Psychiatrie-Erfahrenen in Gütersloh (Katharina Richter)
Gesundheitsökonomische Überlegungen zur Deinstitutionalisierung psychiatrische Langzeitpatienten (Beate Röttger Liepmann)
Der Anhang enthält Abbildungen, einen Interviewleitfaden und ein Literaturverzeichnis. Ferner wird das Vorgehen in der Gütersloher Katamnese-Studie von Elisabeth Hopfmüller und Christian Zechert erläutert.

Diskussion
Wer diesen Bericht liest, ja studiert, wird viele Anregungen enthalten und neue Einblicke in das schwierige Geschäft der De-Instututionalisierung gewinnen. Die Gütersloher Arbeitsgruppe hat ganze Arbeit geleistet und die vorhandenen Daten sorgfältig interpretiert. Auch ich habe von der Lektüre profitiert; doch sollte der Rezensent bei aller Zustimmung nicht vergessen, auch einige kritische Punkte aufzulisten:
Bei der Durchsicht des Interview-Leitfadens fielen mir doch einige Frageformulierungen auf, die eine suggestive Komponente haben: Wie haben sie es so lange in der Anstalt aushalten können und trotzdem die Kraft finden können, sich entlassen zu lassen? Oder: Wenn zur Zeit ein guter Freund oder Verwandter von Ihnen in der Anstalt wäre, was würden Sie raten: in der Anstalt zu bleiben oder auszuziehen?
Ein Mangel der Untersuchung besteht sicherlich darin, dass die Angehörigen nicht durch eine zusätzliche (vielleicht exemplarische) Befragung einbezogen werden konnten. Mit der allgemeinen Hochschätzung der Angehörigenarbeit in Gütersloh kommt dies nicht überein und ist ein unverzeihlicher Fehler. Das sicherlich lesenswerte von Klaus Dörner geschriebene Kapitel über Angehörige und chronisch psychisch Kranke ist kein Ersatz dafür.
Die Beschreibungen der Versorgungseinrichtungen in den einzelnen Entlass-Sektoren sind nicht systematisch erfasst. Auch sind die therapeutischen Angebote, das Personal und die Größe zum Beispiel der Entlass-Heime nicht beschrieben. Solche Angaben lassen durchaus Rückschlüsse auf die Qualität und den Charakter der Einrichtungen zu und machen „Zuweisungen“ nicht zufällig.
Generell wäre es auch sinnvoll gewesen, die allgemeinen Versorgungsstrukturen in den einzelnen Sektoren detailliert zu beschreiben (ambulante und teilstationäre Behandlungsmöglichkeiten, Tagesstruktur, Wohnen, Arbeiten und Freizeit/Soziales Lernen).
Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, inwieweit es sinnvoll ist, die Auswertung einer solchen Klinik-Entlassung den „Betreibern“ der Entlassung anzuvertrauen. Was soll der Patient in einer Befragung sagen, wenn sein die Entlassung begleitender Betreuer auch das Interview führt? Wie löst man Zweifel an der „Sache“ auf, wenn man selbst beteiligt ist? Es hat schon seine Gründe, wenn klassische begleitende Forschung mit Personen gemacht wird, die Distanz zum Untersuchungsgegenstand haben. Man wird daher alle Ergebnisse mit großer Vorsicht zur Kenntnis nehmen müssen.
Was die psychiatrische Diagnostik angeht, so sind mir doch bei folgender Beschreibung der Krankheitslandschaft der schizophrenen Psychosen – unter Verweis auf Dörners Schrift „Aufbruch der Heime“ – einige Zweifel gekommen: „Die schizophren genannte Psychose als Schutz ergibt sich meist zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr, also in einem Alter, in dem man sich von den Eltern losreißen will, um einen eigenen Standpunkt zu finden, sich aber nicht traut, weil man die Eltern gleichzeitig so liebt, in einer Zeit, in der man nicht weiß, ob man Männchen oder Weibchen ist, ob und wie man sich zum fremden Geschlecht verhalten soll, in einer Zeit, in der man sich beruflich in der Welt der Sachen bewähren soll, aber zu empfindsam dazu ist, in der Zeit, in der die erste totale Liebe zerbricht.“ Als Nicht-Psychiater bin ich einigermaßen über diese unspezifische, eher pädagogisch anmutende Beschreibung erstaunt- ein Hinweis auf fehlende Tiefenschärfe der Diagnostik?
Doch kommen wir zu einem wirklich harten Datum: Bei der Entlassung von 435 Gütersloher Langzeitpatienten sterben im Entlassungszeitraum zwischen 1982 und 1996 insgesamt 76 Menschen. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen betrug 59,8 Jahre. 33 Menschen waren bei ihrem Tod noch keine 60 Jahre alt. 22 Menschen sterben im ersten Jahr ihrer Entlassung, 13 weitere im zweiten Jahr. 35 Menschen verlieren in den ersten zwei Jahren nach Entlassung ihr Leben. Hinzu kommt, dass ein Drittel aller Verstorbenen in einer Altenwohneinrichtung verstarb. Spätestens jetzt wird es sehr ernst: Ohne auf die in dem vorliegenden Bericht dazu enthaltenen Erklärungen und Überlegungen eingehen zu wollen, ist diese Reform für mich gescheitert. Der „Blutzoll“ in den ersten zwei Entlassjahren ist zu hoch und verweist ohne weitere Diskussionen auf die Grenzen der De-Institutionalisierung bei schwer chronisch psychisch Kranken.
In den Publikationen Dörners kann ohne Zweifel viel Wertvolles über die sozialpsychiatrischen Konzepte nachgelesen werden, die seine Reformpraxis leiteten. Auch in diesem Buch fallen die theoretischen Ausführungen und Begleitungen der Praxis nicht gerade gering aus. Das ist auf der einen Seite gut so, weil die Wichtigkeit der Theorie für jede ernsthafte Reformbemühung demonstriert wird, auf der anderen Seite werden viele Aktivitäten und Ergebnisse theoretisch überhöht und verlieren die Bodenhaftung:
Wenn ich eine Selbsthilfefirma gründe, muss ich nicht noch die Versöhnung von Ökonomie und Sozialem betreiben, was immer darunter verstanden wird. Wenn ich dem Kranken intensiv zuhöre und auf seine verbalen und anderen Äußerungen achte, vertausche ich nicht die fachlich begründete Asymmetrie zwischen Profi und Krankem. Wenn ich psychisch Kranke aus dem Langzeitbereich in das kommunale Versorgungsnetz entlasse, beginnt nicht erst zu diesem Zeitpunkt die Psychiatrie für chronisch psychisch Kranke; auch ohne diese Zutat bleibt die Entlassung eine Markstein. Auch die anbiedernde Ansprache der psychisch Kranken als Finanziers der Arbeitsplätze der Profis (was im übrigen einfach falsch ist) gehört hierher. Es liessen sich noch weitere Beispiele nennen.
Manches wird bei Klaus Dörner hochstilisiert und bekommt einen theoretischen Überbau verpasst, der stellenweise phrasenhaft und auch pastoral daherkommt. So entsteht der Eindruck einer Trennung von Theorie und Praxis: Seit Erving Goffman ist bekannt, dass die offizielle Seite der psychiatrischen Institutionen stets auch eine Kehrseite hat, die im Unterleben der Institutionen besteht. Alexander Veltin hat irgendwo angemerkt, das von den in den verschiedenen Epochen der Psychiatrie von ihren Protagonisten propagierten Betreuungs-, Pflege- und Behandlungskonzepten nicht ohne weiteres auf deren Realisierung im Anstaltsalltag geschlossen werden darf. Was ich sagen will, dass wir die offizielle „theoretische Seite“ der Psychiatrie immer mit Vorsicht lesen und stets in Zusammenhang mit der alltäglichen Praxis prüfen müssen, deren genaue Beobachtung immer wieder zu erstaunlichen Korrekturen des Theoriegebäudes führt, wovon zum Beispiel das Fach Soziologie lebt.
Dörner ist als Psychiater immer ein Kind seiner Zeit gewesen. Das ist jeder Psychiater. Aber nicht jeder Psychiater ist so sehr wie Dörner dem Zeitgeist verhaftet, dem er immer noch eine Spur voraus sein will. So soll auch dieses Buch nicht nur über die Auflösung der Anstalt berichten, sondern zugleich auch bei der künftigen Gestaltung des Zusammenlebens von Behinderten und Flüchtlingen hilfreich sein – so räsoniert er wie gewohnt in seinem Geleitwort zur Neuausgabe. Was wird die Empirie dazu sagen? Die Kontamination mit weltanschaulichen und politischen Vorzeichen ist für die Psychiatrie nie gut gewesen. Auch das kann man bei Dörner lernen.

Fazit
Wie versprochen, komme ich auf folgende Behauptung von Klaus Dörner zurück: Diese Untersuchung erbringe den empirischen Nachweis, dass kein chronisch psychisch Kranker dauerhaft in einer Institution (Klinik oder Heim) leben muss und darf - vorausgesetzt, unsere Beziehung mit ihm sei angemessen professionell. Meine Lektüre kommt zu einem anderen Ergebnis: Die Untersuchung zeigt, dass nicht jeder chronisch psychisch Kranke aus der stationären Sorge entlassen werden kann und dass Experimente sich gerade bei den schwerst psychisch Kranken verbieten; in diesen beiden Punkten besteht für mich die angemessene professionelle Beziehung.
Das „Ende der Veranstaltung“ ist gleichwohl ein Buch, das sehr offen über ein großes soziales Experiment berichtet und die entscheidenden Fragen und Probleme nicht verdeckt. Es zeigt eindringlich, dass ein breites Spektrum an ambulanten und aufsuchend tätigen Behandlungs- und Betreuungseinrichtungen, eine Vielzahl an Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten und darüber hinaus Orte der Tagestrukturierung und des sozialen Lernens in dem Sektor vorhanden sein müssen, in dem die chronisch-schwer psychisch Kranken nunmehr leben sollen. Diese Einrichtungen und Dienste müssen auch in ausreichendem Maße mit psychiatrisch qualifiziertem Personal ausgestattet sein, das nicht nur im Notfall immer auf eine Klinik mit stationären und teilstationären Angeboten zurückgreifen kann. Nicht zuletzt erwarten die ehemaligen Patienten solchen klinischen Rückhalt, die Angehörigen in jedem Falle. Bevor eine solche gemeindepsychiatrische Sektor-Struktur nicht besteht, sollte man eigentlich keine Experimente mit den schwerst chronisch-psychisch Kranken durchführen. Auch wenn die Bedingungen optimal zu sein scheinen, bleiben jedoch gut bemessene stationäre Ressourcen der Sorge um die Kranken unbedingt notwendig.


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