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In allen Lüften hallt es wie Geschrei

Rezensionen

Sabine Peters in: Basler Zeitung:
Bremer ist ein Tatsachensammler, der sich mit den Tatsachen nicht zufrieden gibt. Er nimmt sich das Recht auf Einmischung.

Lutz Debus in: Dr. med. Mabuse:
Fritz Bremer hat hier keine Biographie geschrieben, das Buch ist ein Roman. Und diesen habe ich teils mit zitternder Hand, teils mit feuchten Augen gelesen. Brillant kann er erzählen.

Jürgen Blume in: Soziale Psychiatrie:
Ein Text zum Eintauchen, gestaltet wie ein Musikstück. Eine Komposition.

Anke Hinrichs in: Der Eppendorfer:
Lohnenswert. Zumal jetzt auch nachzulesen ist, was seit der Erstausgabe 1996 alles in Bewegung gekommen ist.

Brigitte Siebrasse in: Soziale Psychiatrie:
Was ist nun für mich der größte Gewinn dieser Erzählung der Lebenssplitter eines Künstlers? Das Faszinierende und Beruhigende ist, dass all die Ticks, die Manierismen, die Naivitäten, die Ungehobeltheiten, die Verweigerungen bis hin zur äußeren Verwahrlosung vom Biografen Bremer zitiert werden können, ohne dass er van Hoddis denunziert.
Der Band ist auch lesbar als Beitrag zur Psychiatriegeschichte zu Beginn dieses Jahrhunderts.

Irene Stratenwerth in: Die ZEIT:
Bremers Biographie fragt, ohne es auszusprechen: Wie würde uns jemand wie Hoddis heute begegnen? Als eine jener Gestalten, die, unverständliches Zeug murmelnd, durch die Städte streifen und auf Lüftungsschächten schlafen? Oder als braver Patient der Drehtür-Psychiatrie, eingepackt in den dicken Mantel antipsychotischer Medikamente?

Ulrich Karger in: carpe librum:
Dank seiner Kompetenz und dem außergewöhnlichen Sprachvermögen Bremers ist hier ein eindrucksvolles Stück Literatur über das Aushalten des Andersseins gelungen.

Rolf Brüggemann in: Seelenpresse:
Ein sehr lesenswertes und ein gut lesbares Buch. Die Biografie Jakob van Hoddis besteht aus Fragmenten weniger vorhandener historischer Dokumente, einfühlsamer Milieu- und Zeitbeschreibung sowie fiktiven Elementen. In Person des Dichters erleben wir die Zeit Anfang des Jahrhunderts hin zum zweiten Weltkrieg: den Idealisten, der zusammen mit Gleichgesinnten die Welt ändern möchte, den Orientierungssuchenden und Zweifelnden, der ob der Wirrnisse seiner Zeit irr werden möchte, der zunehmend in sich gekehrte, versteinerde, der nicht mehr aktiv einzugreifen vermag, sondern zum Opfer der Verhältnisse wird. Parallel dazu die Entwicklung einer sehr schweren seelischen Erkrankung, die trotz dieser Bemühungen von Verwandten, Freunden und Fachleuten nicht aufzuhalten war. Es endet in dieser Zeit und in dieser Person als Katastrophe: der Krieg, der Progrom, die Schizophrenie, der Mord.
Die gleich dreifache Etikettierung als Jude, als Expressionist und geistig Kranker musste Jakob van Hoddis das Leben kosten. Doch kurz vor diesem fatalen Ende erlaubt sich Fritz Bremer einen fiktiven Eingriff in die Geschichte: er macht einen Zeitsprung um dreißig Jahre nach vorn an einen einige hundert Kilometer südlich gelegenen Ort: Triest 1970: demokratische Psychiatrie. Eine traumhafte Rettung für Jakob van Hoddis, der sich numnehr von wohlmeinenden, toleranten Menschen umgeben sieht. Aber doch wohl ein kindlich naiver Traum, sich in eine schönere Zeit und in ein wärmeres Land zu wünschen. Eine notwendige, konkrete Utopie? Ich meine, in dieser Triest Vision liegt eher ein Schwäche des Buches.
Ich fand es erstaunlich, dass damals die Hauspflege so intensiv genutzt werden konnte. Aus der Betreuung durch die beiden Familien geht kaum Kritisches hervor. Und dann die langen Jahre in der Pychiatrie, die wohl notwendig wurden, da van Hoddis sich nicht recht pflegen lassen wollte und zunehmend auffällig und störend wurde. Er schien doch zufrieden im Park des Christophsbades herumzulaufen, spielte Schach, rauchte und ärgerte sich über die obligatorische Körperhygiene. Hier verbrachte er 6 Jahre, anschließende weitere 9 Jahre in einer anderen Psychiatrie, worüber offensichtlich keine Dokumente bestehen. Ich bezweifle sehr, daß ein Jakob van Hoddis heute besser in einer betreuten Triester Patientenwohngemeinschaft aufgehoben wäre.
Und dann bleiben da noch so viele Fragen an die Biografie: die Hinwendung zum Katholizismus, oder die systemhinterfragende Funktion des Expressionismus, oder das Ineinanderübergehen von dichterischer Genialität und schizophrener Sprachverwirrung. Aber das alles ist nicht zu leisten, es sei denn, Fritz Bremer hätte sich mit Ernst Klee (Recherche, Gesellschaftsanalyse) und Wislawa Szymborska (Dichtung) zusammengetan. Das Buch also animiert zur weiteren Beschäftigung mit Autor und Werk des Jakob van Hoddis. Leider sind auf den Buchmarkt hierzu alle Quellen vergriffen zum Beispiel: Jakob van Hoddis, Dichtungen und Briefe, herausgegeben von Regina Nörtemann, 1987 Arche Verlag AG, Raabe + Vitati, Zürich und Helmut Hornbogen: Die Odysee eines Verschollenen, München-Wien , 1986.
Im Fokus der unterschiedlichen Blickwinkei befindet sich ein literarisch begabter Mensch, der zum Außenseiter wird, zum Irren - und das in einer Zeit, in der der Nationalsozialismus drohend heranzieht und die Vernichtung all derjenigen betreibt, die als Fremde und Feinde definiert werden. In einer fiktiven Perspektive deutet Fritz Bremer die Alternative einer vorurteilsfreien Begegnung mit dem Wahnsinn, mit dem Fremden an.


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