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Die Sängerin

Rezensionen

Brigitte Siebrasse in: Soziale Psychiatrie:
Ilse Eichenbrenner ist einerseits wie du und ich, andererseits begabt mit einem künstlerischen Blick, der aus dem sozialpsychiatrischen Rahmen fällt und mir so gut gefällt wie eine glückliche Psychose. – Im Fernsehen jedenfalls wären diese Paradefiguren aus dem Eichenbrenner’schen Universum in Serie ein Dauerbrenner.

Wiebke Willms in: Sozialpsychiatrische Informationen:
Dem Roman wird ein auf Zuspitzung angelegtes Zeitraster unterlegt. Im schnellen Wechsel öffnet jedes Protokoll ein Fenster, skizziert eine Szenerie und ihre Akteure, bricht ab, legt Spuren, lässt Rätsel offen, lässt hinter den krisengeschüttelten Besuchern Lebensläufe aufleuchten, jagt den Leser durch den Text. (...) Das Denken wird schneller, schärfer, trennschärfer, kritischer, auch selbstkritischer in diesem Krisendienst, die Diskurse kommen ins Rotieren, sonst zensierte Subtexte erscheinen. Und doch, und das ist das Schöne an diesem Roman, wird er nie zynisch oder erbarmungslos.

Eckhard Giese in: Dr. med. Mabuse:
Ilse Eichenbrenner, nunmehr langjährig tätig im sozialpsychiatrischen Dienst Berlin Charlot-tenburg, hat in dritter Folge ihren Genre-Roman vorgelegt, schließt damit die Lücke weiter und der Rezensent fragt sich, warum es wohl so wenig Selbstzeugnisse der psychiatrisch Tä-tigen in belletristischer Form gibt? Liest man den neuen Eichenbrenner, so kann sich das hier vorgelegte Tätigkeitsspektrum durchaus mit den Vorkommnissen einer Anwaltspraxis; einem Knast, einer Hochschule, ja selbst einer durchschnittlichen Polizeistationmessen, ja diese Orte an Rasanz und Spannung durchaus übertreffen!
Ich finde es gut, dass Ilse psychiatrische Praxis romanhaft nachvollziehbar macht (die cineas-tische Praxis beschreibt sie ja selber, ebenfalls langjährig, in der Sozialen Psychiatrie), so wie ich es ja überhaupt plausibel, wünschenswert und nachvollziehbar halte, soziale Arbeit – im-merhin ein Tätigkeitsfeld der Millionen (KlientInnen, MitarbeiterInnen, Angehörigen…) zum Schau-Platz zu machen.
Die von Ilse Eichenbrenner ersonnene Figur des schwulen Sozialarbeiters Karsten Schäfer erweist sich als ergiebig, zumal Karsten nicht nur vom Körperumfang her gegenüber den ers-ten Folgen zugelegt hat, er ist gewissermaßen für seine Fangemeinde ein alter Bekannter – oder gar Freund? Dass er schwul ist, ermöglicht interessante Verwirrspiele im Geschlechter-verhältnis und gerade in dem vorliegenden Band (den man auch ganz ohne Kenntnis seiner Vorgänger gut lesen kann) erzeugt das schwule Befremden über heterosexuelle Lüste und Ränke die leicht ironische Distanz.
Karstens Arbeitsalltag wird am Beispiel einer einzigen Schicht vertickert. Wir haben Teil an seinen Stimmungsschwankungen, kleinen Erfolgen, großen Zweifeln; Einsichten, Krisen und Bedürfnissen. Klar, dass so einer nicht perfekt ist, und sein innerer Talk führt uns eher beiläu-fig in Essentials der sozialpsychiatrischen Denk- und Glaubenssätze ein, einer Szene, in der „die eigene Gesundheit, die Beziehung oder die Ehe Respekt verdienen…, in der die eigene Befindlichkeit so hoch gehängt wird“ (S. 10).
Das Buch ist eine eingängig verfasste sozialpsychiatrische Praxislehrstunde, die in manchen Passagen richtig spannend wird und manchmal etwas sehr didaktisch. Aber der lebenspäda-gogische Ansatz ist ja nun wiederum der Szene eigen.
Fallarbeit, hier ist Action angesagt, wenig Leerlauf, bedeutet den Umgang mit Menschen in Krisen (wenn nicht gerade ein „Spinner“ anruft). Es gibt die Nervensägen, es gibt die Lieb-lingsklienten, es gibt die Vielredner und die SchweigerInnen. Es gibt die Obernervensäge, die dem Buch den Titel verliehen hat, die sich neben allen möglichen Sauereien wie dem Hinter-lassen von Unrattüten am Eingang des Krisenzentrums, vor allem durch unsägliche Lieder die sie auf dem Anrufbeantworter hinterlässt, in die Nerven aller Beteiligten einkratzt. Es gibt den gescheiterten Kleinunternehmer, der von Karsten beherzt in letzter Sekunde vor dem Suizid bewahrt wird.
Als Sparringspartner für klärungsbedürftige Praxisprobleme hat Ilse Eichenbrenner dem Kars-ten noch den Marcel beigesellt, ein Zivi, der naiv, gutwillig und einigermaßen aufgeschlossen daherkommt und von Karsten / Ilse die (sozialpsychiatrische) Welt erklärt bekommt.
Ein bisschen Berlin-Metropole ist dabei, für mich als Berlin Fan angenehm; die „sozialpsy-chiatrische Szene“ wird weder idealisiert noch dämonisiert, was ich sehr angenehm finde – HelferInnen sind manchmal hilflos, manchmal ausgesprochen kompetent und manchmal we-der das Eine noch das Andere. Zu den Geschlechterverhältnissen und Liebesbeziehungen in ihrem Buch hält Ilse eine wohltuende Äquidistanz (?), was Frauen und Männer und ihre Ei-genarten betrifft. Mein Tipp, liebe Ilse, bring´ auch mal eine Lesbe ins Spiel, das interessiert (uns Männer) doch immer.
Zusammenfassende Würdigung: das Buch hat Drive, ist unterhaltend und verhindert jeden-falls nicht das Nachdenken über die Psychiatrie und die Gesellschaft, in der sich HelferInnen bemühen. Karsten Schäfer ist ein fortdauernder Psychiatrieaufenthalt zu wünschen.


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