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Dialoge im Netzwerk

Rezensionen

Horst Petri in: Psychologie heute:
Das Buch ist nicht nur eine fachliche Herausforderung für alle im psychosozialen Sektor Tätigen, sondern auch eine Ermutigung zur Überwindung institutioneller Hindernisse, aber auch von Konkurrenzdenken, Machtausübung und Kompetenzstreitigkeiten im Interesse der ihnen anvertrauten Menschen.

Martin Stahlmann in: Unsere Jugend. Die Zeitschrift für Studium und Praxis der Sozialpädagogik:
Es ist erfrischend, Literatur aus anderen Ländern als den gewohnten auf den Tisch zu bekommen. Das vorliegende Buch – aus dem Englischen von Gernot Hess übersetzt – erschien zuerst in Finnland und wurde durch den in psychosozialen Fragen versierten Paranus Verlag ins Programm aufgenommen. … Insofern sei diese Buch all jenen zu empfehlen, die sich in ihrer Arbeit konsequent an Klientinnen/Klienten und ihren Netzwerken orientieren und neue Konzepte in ihren Berufsalltag einbauen wollen.

Hilde Schädle-Deininger in: Psychiatrische Pflege:
Ein Blick über die Grenzen kann nicht nur angesichts der Stagnation in der Entwicklung einer wirksamen Behandlungspraxis bei psychotischen Erkrankungen in vielen Teilen unserer Psychiatrie hilfreich sein, sondern auch um sich gezielter mit bedürfnisangepassten Vorgehensweisen bei Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung zu befassen. (...) Bleibt die Frage, ob dieser dringend notwendige Perspektivenwandel bei den heutigen Diskussionen in unserem Gesundheitswesen Platz findet und wie viel Professionelle sich für ein solches Konzept einsetzen!
Das Buch ist ein Muss für alle im psychosozialen Berich Tätigen.

Fünf-Sterne-Rezension von Ursula Talke auf www.amazon.de:
Drei Dinge werden in diesem Buch deutlich: Es wird weder nach Tätern noch nach Opfern gesucht - man sucht nach gemeinsamen Lösungen.
Auch die Professionellen müssen zu Veränderungen bereit sein und sich als Menschen einbringen.
Die herkömmliche, an bestimmten Rastern und Mustern orientierte Forschung taugt eher wenig.
Und: In Finnland arbeitet man neuroleptikafrei oder -arm. Mit besseren Erfolgen.
Ich denke, man muss dieses Buch mehrmals lesen und immer wieder, wenn man beginnt, so zu arbeiten.
Die Idee von Netzwerk-Dialogen selber ließe sich auf viele andere Bereiche - gesamtgesellschaftliche und politische - übertragen, und gehört deswegen weit über die sozialpsychiatrischen Kreise hinaus publiziert und umgesetzt - steht schließlich die ganze Menschheit derzeit vor der Aufgabe, die Zukunft auf unserem Planeten zu sichern - und das geht eben - genau wie die Heilung von Psychosen - nur gemeinsam ...

Nils Greve in: Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung:
"Dialog ist Erfahrung" - der schmucklose Satz auf Seite 145 ist für mich die Quintessenz: Seikkula und Arnkil plädieren für offene Begegnungen zwischen Hilfesuchenden und professionellen Helfern, in denen Letztere ihre professionellen Rüstungen ablegen oder wenigstens ihre Visiere weit öffnen, auf Experten-Gewissheiten, monologisierende Gesprächsführung und interventionistisches Maßnahmedenken verzichten und so Menschen helfen, in schwierigen Lebenslagen ihre eigenen Wege zu finden.
Gerade weil dieser Ansatz sich so wohltuend von den Einengungen der Psychiatrie wie der Jugendhilfe abhebt, ist dem Buch eine große Leserschaft zu wünschen.

Verena Liebers in: Der Eppendorfer:
Eine gemeinsame Sprache finden
Menschen sind soziale Wesen. Probleme ebenso wie Heilung von (seelischen) Krankheiten betreffen deswegen immer mehr als einen Einzelen. Oft ist der Patient auch nur das schwächste Glied einer Kette, aber als Symptomträger steht er stets im Fokus der Behandlung, zumidnest in Deutschland. In Finnland ist es dagegen gängige Praxis, die Beratung so bald als möglich auf Gruppen auszudehnen. Familie, Arbeitgeber, Freunde, Therapeuten – jeder ist Experte in eigener Sache und kann seinen einzigartigen Blick auf das Problem beisteuern. Kein einfaches, aber ein durchaus erfolgversprechendes Unterfangen. Eigentlich selbstverständlich, dass Menschen überhaupt und speziell in Krisen miteinander reden müssen. (...)
Ein interessantes Buch.

Jürgen Hargens auf www.systemagazin.de:
Seikkula ist Professor für Psychotherapie in Jyväskylä, Arnkil arbeitet als Forschungsprofessor am Stakes-Institut in Helsinki und in diesem Buch schreiben sie über ihre „Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit Netzwerkdialogen“ (S. 27), die sich über gut zwei Jahrzehnte erstreckt. Dabei ist dieses Buch beileibe keines für TheoretikerInnen, sondern ein gut verständliches Arbeitsbuch: es stellt die Arbeit vor, liefert Beispiele, gibt gut verständliche theoretische Darlegungen des Konzeptes und endet mit Ergebnisdaten sowie einer Kritik an der gängigen Forschungspraxis des „evidenzbasierten“ Vorgehens.
In dieser Klarheit und Stringenz ist dieses Buch für mich ein Informationsgewinn - im Batesonschen Sinne eines Unterschiedes, der einen Unterschied macht.
Die Grundidee ist einfach (nicht zu verwechseln mit leicht) - Vernetzung und das heißt, alle Beteiligten in gleichberechtigter Weise zu einem Dialog einzuladen, der unmittelbar nach Bekanntwerden/Ausbruch einer (psychotischen) Krise stattfindet. Die dahinterstehende Idee der „Dialogik“ wird von den Autoren beschrieben als „eine Art zu denken …, die man mit verschiedenen Methoden verbinden kann und die das gemeinsame Zuhören und Denken fördert“ (S. 28).
Dabei bildet ein Ausgangspunkt die theoretische Einsicht wie praktische Erfahrung, dass „das an sich gut organisierte professionelle System an seine Grenzen [gerät], wenn es mit Phänomenen konfrontiert wird, die nicht in der Weise arbeitsteilig angegangen werden können, in der das Expertensystem organisiert ist“ (S. 32) - Ausdruck der Erkenntnis, dass sich Interessen und Bedürfnisse von ExpertInnen und KlientInnen nicht notwendigerweise überschneiden. In Hinblick auf eine verbesserte Behandlung ist es dann erforderlich, sich darauf zu orientieren, was am besten helfen kann - und in einem solchen Dialog hat jede Stimme gleichermaßen Gewicht und Bedeutung.
In den von ihnen so genannten Antizipatorischen Dialogen geht es darum, „dass festgefahrene Situationen wieder in Bewegung kommen“ (S. 32). Dabei bezieht sich Antizipation auf die gedankliche Vorwegnahme möglicher Ergebnisse unterschiedlicher Handlungen verschiedener Personen - und dies in einem dialogischen Kontext, in dem jede Stimme gleichberechtigt ist. Das Team hat dazu „drei wegweisende Fragen“ ge- oder erfunden, die allen gestellt werden:

1. Was würde passieren, wenn nichts geschieht?
2. Was könnte man tun, das sich von den vorausgehenden Maßnahmen angemessen unterscheidet?
3. Was ist zu erwarten, wenn man es tatsächlich so machen würde? (S. 35)

Bedeutsam wird das Zuhören, also die Möglichkeit, sich selber in der eigenen Ungewissheit und Unsicherheit auszudrücken und dafür respektiert zu werden. Das bedeutet immer auch, dass die ExpertInnen Abschied von der Idee nehmen müssen, zu wissen, was richtig oder notwendig ist. „Eine solche Versammlung von Klienten und Mitarbeitern ist ein unmittelbarer Eingriff in das Leben der Klienten, und ein notwendiges Ziel einer solchen Begegnung sollte sein, ihr ‚Empowerment’ zu verbessern - sie sollten am Ende ‚stärker’ sein als zuvor (S. 37).
Seikkula und Arnkil beschreiben dezidiert konkrete Möglichkeiten, solche Dialoge zu fördern und diese - positive - Schlichtheit und Klarheit macht für mich die ungeheure Stärke und Überzeugungskraft dieses Buches aus.
Kritik am bestehenden Gesundheitssystem wird nicht verschwiegen, aber immer wohlwollend in denk- und machbare andere Möglichkeiten eingebunden. „Wenn Probleme des Klienten oder der Familie klar ersichtlich sind und verschiedene Anteile haben, die voneinander getrennt werden können, wird das System auch die Zuständigkeit unterschiedlicher Professionen feststellen. Wenn aber die Probleme multi-dimensional und unscharf sind, dann wird auch der Prozess der Arbeitsteilung ‚unübersichtlich’ … Multi-institutionelle Verwicklungen treten dann auf, wenn Probleme nicht mit dem spezialisierten Zugang der jeweiligen Dienste in Übereinstimmung zu bringen sind. Das Alltagsleben ist nicht sektorisiert, auch wenn dies oft ein Merkmal von Bürokratien ist“ (S. 46).
Aus solchen Beobachtungen leiten die Autoren ihr Vorgehen ab, begründen es und zeigen auf, wie sie vorgehen.
Die zweite Form der Netzwerke nennen Seikkula und Arnkil Offene Dialoge, die mehr auf die Zusammenarbeit innerhalb des sozialen Netzwerkes des Patienten gerichtet sind und die - im Unterschied zu den (ein oder zwei Mal stattfindenden) antizipatorischen Dialogen den gesamten Prozess begleiten. Das dialogische Prinzip - unter Bezugnahme auf einige russische Forscher wie Bachtin, Vygotsky oder Voloshinov - gilt auch hier uneingeschränkt und markiert den „kleinen Unterschied“. Die Richtlinien für die Praxis werden vorgestellt und erläutert:

1. sofortige Hilfe
2. Einbeziehung des sozialen Netzwerks
3. Flexibilität und Mobilität
4. Teamverantwortung
5. psychologische Kontinuität
6. Unsicherheitstoleranz
7. Dialogik (S. 68)

Ich hoffe (und wünsche), dass diese Hinweise viele neugierig machen, selber nachzuschauen, nachzulesen und zu überlegen, was er/sie daraus für die eigene Praxis lernen kann. Und dass die Praxis hilfreich und wirksam ist, zeigen die Autoren in den Hinweisen auf ihre Forschungsergebnisse. Zumal dieses Buch - jedenfalls für mich - anregend ist, eigene Ideen weiter zu denken und auf den eigenen Kontext zu beziehen. Dazu gehören besonders die im Teil II des Buches - und hier nicht weiter vorgestellten - Überlegungen zum Thema Sprache, Zuhören und Antworten. Dabei gilt das, was Seikkula und Arnkil gleichsam „nebenbei“ anmerken: „Professionelle Praxisentwicklung setzt Forschungsverfahren ein, durch welche die Lernprozesse vor Ort befördert werden“ (S. 196), denn „Neue Verfahren werden in bestimmten Kontexten und nicht als Replikation verallgemeinerten Wissens entwickelt“ (S. 166)
Enden möchte ich mit einem Zitat, dass die Autoren als Fußnote bringen:
„In den vielfältigen professionellen Landschaften gibt es einen festen Boden, von dem aus man auf einen Sumpf herabsieht. Die lösbaren Probleme auf diesem Boden bieten sich zur Bearbeitung an mittels forschungsgestützter Theorien und Techniken. Im sumpfigen, tiefen Terrain aber sträuben sich die unordentlichen, verwirrenden Probleme gegen technische Lösungen. Die Ironie der Situation liegt darin, dass die Probleme des Trockenbereichs für Individuen und die Gesellschaft im Allgemeinen relativ unwichtig sind, während sich die bedeutenden menschlichen Probleme im Bereich des Sumpfes befinden.“ (S. 200)

Jürgen Hargens (Meyn)


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