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20 Jahre Trialog (DVD)

Das Hamburger Psychoseseminar und seine Folgen

von Alexandra Pohlmeier

ISBN 978-3-940636-09-6
leider vergriffen  
DVD, 2010, 51 Minuten mit Booklet
 
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Über das Buch

In diesem Fall ĂĽber die DVD:

Der Film spannt den Bogen von der Entstehungsgeschichte des Psychoseseminars in Hamburg vor 20 Jahren bis zur internationalen Verbreitung der Trialog-Idee. Der Einblick in die Subjektivität und die Verschiedenheit der Perspektiven macht diese Dokumentation zu einem idealen Lehr- und Lernfilm. Er stellt zugleich eine Anleitung dar, selbst ein Psychoseseminar zu gründen, und macht Mut, eigene Informationsveranstaltungen in Schulen oder Betrieben durchzuführen oder eine Fortbildung anzubieten, die Erfahrene befähigt, selbst Aufgaben in der Psychiatrie zu übernehmen (EX-IN-Projekt).
Die Berliner Filmemacherin Alexandra Pohlmeier erstellte diesen Film im Auftrag der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf und „Irre menschlich Hamburg e.V.“.
Jetzt wird er vom Paranus Verlag vertrieben.
Mitwirkende im Film: Dorothea Buck, Thomas Bock, Claudia Bloh, Angelika Heym, Rolf Scheffel, Michaela Amering, Dieter Naber, Krista Sager, Beate Lakotta, Elmar Lampson, Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse des Albrecht-Thaer-Gymnasiums, Helmut Tröber, Angela Urban, Gyöngyvér Sielaff, Henning Hallwachs, Friedrich Walburg, und viele Erfahrene, Angehörige und Psychiatrie-Mitarbeiter.

Inhaltsverzeichnis

AuszĂĽge aus dem DVD-Booklet:

Trialog
„Die Wahrheit beginnt zu zweit – die Lösung zu dritt.“ (Nietzsche/Schulz von Thun)
»Trialog« meint die gleichberechtigte Begegnung von Erfahrenen, Angehörigen und professionell Tätigen in Behandlung, Öffentlichkeitsarbeit, Antistigmaarbeit, Lehre, Forschung, Qualitätssicherung, Psychiatrieplanung usw. Er findet mitnichten nur in Seminaren statt. Diese sind lediglich das Übungsfeld, denn die Idee des trialogischen Diskurses bedeutet eine Herausforderung für alle drei Gruppen.
Der Trialog hat neben die pathologische die anthropologische Betrachtung gestellt, mit der Grundhaltung, „psychisch erkranken zu können gehört zum Wesen des Menschen“. Diese Besinnung auf das Wesen des Menschen mahnt nicht nur zur therapeutischen Bescheidenheit, sondern auch zu einer fairen Gestaltung von Beziehung und Verantwortung. Die inzwischen vielfach geforderte veränderte Gewichtung von Erkrankung und Genesung (Recovery-Orientierung), also die Besinnung auf das, was (auch mit Symptomen) gesundes Leben fördert, wird dadurch maßgeblich unterstützt.

Psychoseseminar – „Drei Seiten einer Medaille“
Im Jahr 1989 startete in Hamburg das erste Psychoseseminar als ein trialogisches Forum, in dem sich Erfahrene, Angehörige und professionelle Mitarbeiter auf gleicher Augenhöhe begegneten und sich so wechselseitig fortbildeten. Schon damals stellte sich schnell heraus, dass die Begegnung jenseits eingefahrener Rollen große Chancen birgt für neue Erkenntnisse, Einsichten und Entwicklungsprozesse – und zwar bei allen Beteiligten. Gerade weil ein psychiatrisch Tätiger nicht allseits therapeutisch verantwortlich ist, kann er in solchen Zusammenkünften lernen, vollständiger wahrzunehmen und gelassener zu bleiben – ein für die alltägliche Arbeit großer Gewinn. Erfahrene und Angehörige, die nicht über enge persönliche Beziehungen miteinander verflochten sind, können sich so wechselseitig aufmerksamer zuhören und besser einfühlen – eine Art Familientherapie ohne Familie.
Das Psychoseseminar ist keine Therapie, vermittelt keinen Veränderungsdruck und ermöglicht so einen weitgehend »herrschaftsfreien Diskurs« (Habermas). Im Vordergrund stehen das Erzählen von Geschichten, der Austausch von Wahrnehmungen und das Verknüpfen von Perspektiven.
Zum Glück gehörten die Angehörigen von Beginn an zur Idee eines Psychoseseminars. Ohne die Erfahrung der Angehörigen würde Entscheidendes fehlen: Die drei Gruppen bilden ein wechselseitiges Korrektiv. Heben die einen vom Boden ab, schaffen die anderen die Erdung.

„Irre menschlich Hamburg“ - Gemeinsam für mehr Toleranz und Sensibilität
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ (M. Buber)
„Irre menschlich Hamburg“ gehört wie „Irrsinnig menschlich Leipzig“ zu den Antistigmatisierungsprojekten der ersten Stunde. Ein gemeinnütziger Verein von Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Profis aus dem psychosozialen Bereich. Hervorgegangen ist diese Initiative aus dem Hamburger Psychoseseminar. Im Vordergrund stehen alle Aspekte von „Anderssein“, seelischer Gesundheit und psychischer Erkrankung. Hier können Vorurteile abgebaut werden, durch Begegnung zwischen Schülern und krisen-erfahrenen Menschen, ihren Angehörigen und professionell Tätigen. Durch den Umgang mit den „Anderen“ wird auch die Sensibilität im Umgang mit sich selbst gefördert.
Mit regional unterschiedlicher Geschwindigkeit weiteten sich diese Antistigmaprojekte aus: auf andere Orte, auf andere gesellschaftliche Felder, neben Schulen auch auf Betriebe, Kirchen, Kulturinitiativen, auf andere Zielgruppen wie Lehrer, Polizisten, Gesundheitsberufe, Jugendhilfe und mit neuen, zunehmend auch präventiven Zielsetzungen.
Aus dem Abbau von Vorurteilen erwachsen Kraft und Lust, gemeinsam gegen öffentliche Vorurteile zu Felde zu ziehen.

EX-IN – Erfahrung wird Wissen und Kompetenz
„Wir müssen verstehen, was wir erleben, um unsere Erfahrungen in unser normales Leben integrieren und um anderen ein Verständnis davon vermitteln zu können“, sagt Dorothea Buck, Ehrenvorsitzende des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen, des Vereins „Irre Menschlich“ und Mitbegründerin des Hamburger Psychoseseminars, zu dem Anliegen von EX-IN.
Unter dem Namen EX-IN (Experienced Involvement) ist nun endlich auch in Deutschland ein Fortbildungsprogramm für Psychiatrie und Krisen-erfahrene Menschen aufgebaut worden, dass es diesen Personen ermöglichen soll, in professionellen Strukturen mitzuarbeiten.
In der Fortbildung wird Hintergrund- und Methodenwissen vermittelt, die eigene Krisen- und Genesungserfahrung wird reflektiert. Der Austausch von „Ich-Wissen“ wird durch Entwicklung und Anwendung zum „Wir-Wissen“. Dieser Prozess kostet Kraft, aber EX-IN ist eine Chance, sinnstiftend und gewinnbringend zu wirken. Die Beteiligung von Experten durch Erfahrung ist ein Ansatz von dem die Erfahrenen selber, die Angehörigen und die Professionellen gleichermaßen profitieren können. Eine wertgeschätzte Aufgabe zu haben, die Erweiterung der eigenen Kompetenzen zu erleben und die Möglichkeit anderen zu helfen, kann zu einer Änderung der Selbstwahrnehmung und oft zu einer Auflösung der Selbststigmatisierung führen. Angehörige sitzen in Hamburg ebenfalls im Beirat von EX-IN.
Wenn Psychiatrie-Erfahrene als Experten durch Erfahrung angestellt werden und nicht nur als Vertreter ihrer Erkrankung und Störung gesehen werden, hat dieser Ansatz das Potenzial, ein neues Selbstverständnis in der Psychiatrie zu etablieren, bei dem die Bedürfnisse der Patienten im Mittelpunkt stehen.
Was im Psychoseseminar und bei „Irre menschlich“ durch Begegnung entsteht, transformiert bei EX-IN zur Erfahrungs-Wissenschaft.

Geschichte des Trialogs
• 1989 erstes Psychoseseminar in Hamburg
• 1992 Gründung des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrene, seitdem Trialog auch auf Verbandsebene
• 1993 Erste trialogische Bücher, Ausweitung der Trialogidee, Trialogforen beim Stimmenhörer-Netzwerk
• 1994 Weltkongress für soziale Psychiatrie »Abschied von Babylon« mit trialogischem Konzept, seit dem viele trialogische Kongresse und Fortbildungen
• 1998 Veröffentlichung der Broschüre Es ist normal, verschieden zu sein in deutscher und englischer Sprache. Mit einem breiten (anthropologischen) Verstehensmodel und sehr differenziertem Behandlungskonzept
• bis 1998 bundesweit ca. hundert Psychoseseminare
• 1998 erste Behandlungsvereinbarung (Bielefeld)
• 1999 Beginn der »Antistigmakampagne von unten«, trialogische Aufklärungsarbeit gegenüber Journalisten, in Schulen, Betrieben usw., Start Irre menschlich Hamburg u.a.
• 2000 Etablierung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störung (DGBS) als trialogische Fachgesellschaft.
• 2002 Trialogforen von Borderline-Patienten u.a.
• 2004 Trialogforen bei der jährlichen DGPPN-Tagung
• 2005 trialogische Beschwerdestellen, ein Projekt, das von der DGSP gefördert wurde
• 2005 Start des EU-Programms zu Förderung eines Curriculums »Experienced Involvement«
• 2006 Beginn der EX-IN-Fortbildung in Hamburg und Bremen
• 2008 Start eines gemeinsamen Fortbildungskurses »Train the trainees«

Perspektiven des Trialogs
Der Trialog fördert die Subjekt- und Bedürfnisorientierung von Praxis/Versorgung, Lehre und Forschung. Auf diesem Weg kann der immer noch vorherrschende Reduktionismus von Krankheitskonzepten und Hilfesystemen überwunden werden. Dafür gibt es bereits an vielen Stellen sichtbare Zeichen. Die im Psychoseseminar Bielefeld entwickelte Behandlungs-Vereinbarung ist ein Versuch, mit Unterstützung von Peers oder Angehörigen in stabilen Zeiten Einfluss zu nehmen auf die Modalitäten der Behandlung in Krisen. Die so genannte initiale Behandlungskonferenz aus dem skandinavischen Need-adapted-treatment ist ein Beispiel gelebten Trialogs in akuten Krisen. Hier tritt an die Stelle von Unterwerfungsritualen mit einseitig definierten Voraussetzungen von Behandlung (»Krankheitseinsicht« und »Compliance«) ein Ringen um Kooperation und gemeinsames Handeln und um anschlussfähige Verstehenskonzepte, die der subjektiven Sicht mit Respekt begegnen und genügend Raum lassen. Behandlung dort, wo sie am wenigsten Angst macht: in ruhiger wohnlicher Atmosphäre (Soteria-Station) oder gleich zuhause: Hometreatment als ambulante Soteria, Soteria als stationäres Hometreatment. Die trialogischen Forderungen von den Verbänden der Erfahrenen, der Angehörigen und der Sozialpsychiatrie stimmen hier inzwischen weitgehend überein.

Trialogische Forschergruppe belegt Psychosen-Psychotherapie
Das Hamburger SuSi-Projekt, eine trialogische Forschergruppe zum Thema Subjektiver Sinn belegt die Notwendigkeit eines anderen Umgangs mit Psychoseerfahrung inzwischen auch empirisch. Die Befragung von fast 500 Psychose-Erfahrenen aus drei Ländern und 15 Orten belegt ein großes Sinn-Bedürfnis. Über 70% der Beteiligten bringen ihre Psychose mit Lebenserfahrungen in Verbindungen, fast 50 % berichten von positivem Symptomerleben und fast 60% haben positive Zukunftserwartungen – weitgehend unabhängig von der Schwere der Erkrankung. Bemerkenswert dabei vor allem der innere Zusammenhang der Faktoren des neu konstruierten Fragebogens: Je stärker der Bezug auf eigene Lebenserfahrung, desto konstruktiver das Psychoseerleben, optimistischer der Blick in die Zukunft und positiver die subjektive Lebensqualität (Bock u.a. 2009). Diese Studie bestätigt die bisher qualitativen Daten aus den Psychoseseminaren sowie die Sinn-orientierten Theorien von Victor Frankl und das Salutogenese-Konzept von Antonovski: Zu (seelischer) Gesundheit bzw. Gesundung gehört das Erleben von Sinn und Kohärenz. Vor allem aber belegt sie die Notwendigkeit psychotherapeutischer Behandlungsstrategien und unterstreicht die große Relevanz von Peer-Arbeit. Gerade Peers können bei der Aneignung schwerer seelischer Krisen helfen und damit zu einer konstruktiven Verarbeitung beitragen.

Die Psychiatrie auf dem Weg zur Erfahrungs-Wissenschaft
10 Thesen von Dorothea Buck

– Erfahrungen der Betroffenen anhören und ernst nehmen
– Psychose als Aufbruch des normalerweise Unbewussten ins Bewusstsein, um vorausgegangene Lebenskrisen zu lösen, die wir mit unseren bewussten Kräften nicht lösen konnten
– Da Traum und Psychose aus derselben Quelle, dem Unbewussten, kommen, Parallelen zwischen beiden beobachten!
– Aufbruch von Symbolen in Traum und Psychose beim Denken und Handeln
– Identifikationen in Traum und Psychose.
Wir identifizieren uns mit den im Traum auftretenden Personen, die uns häufig selbst meinen. In der Psychose, vor allem der Schizophrenie, sind Identifikationen mit Jesus und anderen – vor allem biblischen – Gestalten häufig.
– Die in Psychosen häufigen Beziehungs- und Bedeutungsideen lassen sich erst aus dem in der Psychose veränderten Weltgefühl sonst nicht gespürter Sinnzusammenhänge verstehen. Ähnliches gibt es im Traum. S.Freud erwähnt zum Traum: „Eine auffällige Tendenz zur Verdichtung, eine Neigung, neue Einheiten zu bilden aus Elementen, die wir im Wachdenken gewiss auseinander gehalten hätten.“
– Da diese Veränderungen sich von unserem normalen Denken und Vorstellen so unterscheiden, bewerten wir sie als nicht aus uns selbst, sondern von außen kommenden „Eingebungen“. Aus diesem „Eingebungs“-Erlebnis resultiert wohl auch der Schizophrenie-Begriff. Sobald wir aber von einem in der Psychose aufgebrochenen eigenen Unbewussten wissen, das wir wegen der ganz anderen Art des Denkens, des eher Gedachtwerdens, als nicht aus uns selbst kommend erkennen, sollte gemeinsam ein Psychose- und Selbstverständnis erarbeitet werden.
– Unsere Psychosen gehen meistens mit aufbrechenden Impulsen und Emotionen einher, die auch aus dem Unbewussten kommen. Damit sich keine Gefühle und Impulse stauen können, lebe ich immer aus diesen Impulsen oder der inneren, nicht gehörten Stimme. Manche hören sie auch.
– Die Krankheit scheint mir darin zu liegen, dass wir unser Psychoseerleben für Realität halten. Würden wir es von vornherein auf der „Traumebene“ erkennen, wären wir nicht krank. Es bedarf also der Verschiebung der Psychose-Inhalte auf die Traum-Ebene, m sich den S I N N der Psychose zu erhalten, nur ihre objektive Wirklichkeit nicht.
– Durch diese Verschiebung meiner fünf als „schizophren“ diagnostizierten Schübe zwischen 1936 und 1959 und durch meine Arbeit bin ich seit genau 50 Jahren psychosefrei.

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