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Worte verändern die Welt

Leseprobe

1. Einleitung

Zurzeit erleben meine Kolleginnen und Kollegen und ich einen großen Umbruch im Sozialbereich. Ohne Zutun der Profis wurde die soziale Arbeit massiv verändert. Die Verantwortung für psychische und soziale Probleme ist in Zukunft keine gesamtgesellschaftliche mehr, sondern wird zur Verantwortung der Einzelpersonen. Jeder Mensch ist nun für sein Leiden, seine Krankheit, seinen Misserfolg selber verantwortlich. Jeder trägt selber die Schuld an seinem persönlichen Scheitern. Gleichzeitig geraten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sozialbereich immer mehr unter Druck. Es werden immer höhere Auslastungszahlen in den Sozialeinrichtungen verlangt, gleichzeitig vermitteln die Geldgeber, dass die Löhne zu hoch und die Arbeitsplätze von altgedienten Profis nicht mehr finanzierbar seien.

Der Ausgangspunkt dieses Buches war zuallererst meine eigene Betroffenheit, meine Verzweiflung, Existenzängste, Unsicherheit, und ein Gefühl, dass meine Arbeit nichts mehr wert sei. Dem Buch zugrunde liegen die Ergebnisse einer dreijährigen Forschungsarbeit. Das Thema dieser Forschungsarbeit hat sich von Beginn an langsam entwickelt. Ausgehend von den Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in Oberösterreich folgte der Einstieg in die Problematik der Ökonomisierung des Sozialbereiches. In vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen stellte sich auch heraus, dass es auffällig ist, wie sich neue Begriffe in die soziale Arbeit einschleichen. Es sind größteneils Begriffe aus dem betriebswirtschaftlichen Controlling, wie Leistungsmengen oder Kundin- bzw Kunde, bei deren Verwendung die Profis ein ungutes Gefühl beschleicht. Auch werden Begriffe umgedeutet, wie zum Beispiel der Qualitätsbegriff. Soziale Arbeit kann offenbar mit den neuen Begriffen nicht mehr so beschrieben werden, wie es bisher geschah. Der Geldgeber drängt sehr darauf, diese neuen Wörter zu gebrauchen. In den Belegschaften herrscht ein diffuses Gefühl des Manipuliertwerdens, das noch nicht „greifbar“ geworden ist. Zu dem ist auffällig, dass von Seiten der Geldgeber mit Nachdruck an der Einführung der neuen Begriffe gearbeitet wird.

Das Thema Sprache interessierte mich schon lange. So fielen mir in den letzten Jahren viele sprachliche Veränderungen auf. Im Gemeindeamt bin ich seit einigen Jahren kein Bürger mehr sondern Kunde. Das Gemeindeamt wurde ein Dienstleistungszentrum. Betriebe kündigen oder entlassen niemanden mehr, sondern „setzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frei“. Es werden keine Abteilungen und Standorte mehr geschlossen, sondern „Strukturen bereinigt“. Aus den Vorarbeitern von Putzkolonnen werden „Facility Manager“. Es ändert sich die Sprache und es ändert sich die Gesellschaft. Ich habe da immer schon Zusammenhänge vermutet, denen ich nun in diesem Buch am Beispiel der Ökonomisierung des Sozialbereiches nachgehen möchte.

Dabei war es mir wichtig, die Sprache der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Sozialbereich möglichst umfassend und authentisch einzubeziehen und weiterzuvermitteln. Dabei ließ ich mich von Georg Marcus, einem namhaften amerikanischen Sozialwissenschafter inspirieren, der betont, dass sich ganz klar hervorhebt, „dass für die es für die Autentizität der Forschungsergebnisse von großer Bedeutung ist, dazu auch die Sprache des Forschungsfeldes zu verwenden“ (vergl. Marcus 1995, S. 95-117) Darum übernehme ich in diesem Buch auch längere Passagen aus Interviews mit Kolleginnen und Kollegen, um einen unmittelbaren Eindruck zu vermitteln. Zudem werde ich soziologische Theorien vorstellen, die in Verbindung mit den Interviews ein neues Gesamtbild der Situation ergeben. Dabei habe ich zum einen versucht diese Theorien leicht verständlich zu beschreiben und viele Beispiele verwendet. Zum anderen wird aber ebenfalls in längeren Zitaten die Sprache der betreffenden Wissenschaftler dokumentiert, um so ein unmittelbares Gefühl für den Menschen, der dahinter steht, und die Wirklichkeit, in der er lebt, entstehen zu lassen.

Die hohe Bedeutung des zu beschreibenden Wandels der Sprache für die Geldgeber wird beispielhaft daran sichtbar, dass „pro mente“ als größte Organisation im psychosozialen Bereich in Oberösterreich auf Betreiben der oberösterreichischen Landesregierung hin ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per Dienstanweisung zwingt, in Zukunft die betroffenen Menschen als Kundinnen und Kunden zu bezeichnen. Für die Geldgeber ist es offensichtlich extrem wichtig, dass die neue Terminologie auch verwendet wird. Die Profis meinen, dass ihnen irgendetwas Bedeutendes in diesem Zusammenhang bisher noch nicht bewusst geworden ist. Das vorliegende Buch wird nachvollziehbar machen, welche Folgen die Verwendung gewisser neuer Begriffe auf die konkrete soziale Arbeit hat. Es ist wohl einzigartig im Sozialbereich, dass eine bestimmte Sprache durch Zwang eingeführt wird. Vielleicht sogar einzigartig für die moderne Demokratie.

Die Sprache ist ein für das menschliche Zusammenleben sehr wichtiges Instrument. Es dient dazu, im gemeinsamen Austausch ein Bild der alltäglichen Wirklichkeit zu konstruieren. Unsere gemeinsame Wahrnehmung des „Alltäglichen“ basiert auf der Einigung, die in linguistischen Prozessen erzielt wird. Daher ist es wichtig, die Wirkungen von Sprache zu verstehen, wenn ein Verständnis entwickelt werden soll, wie ein gemeinsames Bild der Wirklichkeit entsteht.

„Die allgemeinen und gemeinsamen Objektivationen der Alltagswelt behaupten sich im Wesentlichen durch ihre Versprachlichung. Vor allem ist es die Alltagswelt, Leben mit und mittels der Sprache, die ich mit den Mitmenschen gemein habe. Das Verständnis des Phänomens Sprache ist also entscheidend für das Verständnis der Wirklichkeit der Alltagswelt.“ (Berger, Luckmann 2000, S. 39)

Im Zuge des dem Buch zugrundeliegenden Forschungsprozesses war es ein Anliegen der Forschungsgruppe kritischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Sozialbereich, die gestalterische Kraft der Sprache zu verstehen. Die Forschungsgruppe bestand aus Mitgliedern der Linzer Initiative, die im Laufe des Buches genauer beschrieben wird. Es geht darum, zu ergründen, ob Veränderungen in der Sprache sozialer Arbeit unmittelbar auf die Wirklichkeit der sozialen Arbeit wirken. Mit dieser Forschungsarbeit wird auch diesem diffusen Gefühl des Manipuliertwerdens durch die Sprache nachgegangen. Die Erkenntnisse daraus sollen neue Handlungsmöglichkeiten für die von der Ökonomisierung betroffenen Profis aufzeigen und dabei helfen weitere Optionen zu entwickeln.


Das Thema und ich

Das vorliegende Buch beschäftigt sich also mit Detailfragen der Ökonomisierung des Sozialbereiches. Nach längerem Nachdenken fand ich heraus, dass ich schon sehr bald in meinem Leben persönlich die Auswirkungen einer Ökonomisierung zu spüren bekommen hatte. In meiner Jugend absolvierte ich die vierjährige Fachschule für Hochfrequenz und Rundfunktechnik an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt in Steyr. Hier lernte ich umfassend die Funktionsweisen von Telefon und Unterhaltungselektronik kennen. In der dortigen Lehrwerkstätte wurde vermittelt, wie diese Geräte zu bauen und zu reparieren sind. Mein Jahrgang war allerdings der letzte dieser Fachrichtung. Damals waren mir die Zusammenhänge mit einer globalen Ökonomisierung noch nicht bewusst. Da aber immer mehr Elektronik-Konzerne ihre Produktion nach Asien verlegten, wurden die Geräte zunehmend billiger. Daher wurden auch Reparaturen in Österreich ökonomisch zunehmend uninteressant. Bei einem 25-jährigen Klassentreffen im Jahr 2007 stellte sich heraus, dass von 19 Absolventen nur mehr sieben im ausbildungsnahen Bereich arbeiten, wobei zwei Kollegen sich im Bereich Kabelfernsehen selbstständig gemacht haben. Ein Kollege arbeitet klassischerweise bei der ehemals staatlichen Telekom, ein anderer bei der Flugsicherung des Bundesheeres. Drei Kollegen arbeiten in Industriebetrieben, wo sie sich auf bestimmte Produktionstechnologien spezialisiert haben. Aber auch mein weiteres Leben war von den Auswirkungen der Ökonomisierung beeinflusst.

Mit viel Freude führten meine Frau und ich lange Jahre einen landwirtschaftlichen Betrieb. Dabei habe ich mir meinen Jugendtraum vom einfachen Leben auf dem Lande verwirklicht. Wir züchteten Milchschafe, produzierten Käse und waren zufrieden. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, die Landwirtschaft weiter als Haupterwerb zu betreiben. Doch es kam anders. Durch den EU-Beitritt Österreichs 1995 verschlechterten sich schlagartig die Bedingungen. Die Preise für Milch, Käse und Fleisch verfielen und die Kosten stiegen. Einige Zeit versuchten wir noch, den Effekt durch Produktionssteigerung auszugleichen. Doch schon bald mussten wir erkennen, dass es sich um ein Fass ohne Boden handelte. Wir arbeiteten bis zur völligen Erschöpfung. Ein Jahr lang versuchte ich sogar durch zusätzliche Nachtarbeit, als Betreuer in einem Übergangswohnheim für Haftentlassene, die negative Bilanz der Landwirtschaft auszugleichen. Nach meiner Rückkehr aus den Nachtschichten verrichtete ich die nötigen Arbeiten am Bauernhof. Doch dann war irgendwann der Punkt erreicht, wo ich nicht mehr weiterkonnte. Die schmerzliche Gewissheit stellte sich ein, dass wir beide es nie würden schaffen können, durch mehr Arbeit den Bauernhof wieder rentabel zu machen. Schweren Herzens lösten wir unsere Landwirtschaft auf. Mein Jugendtraum zerplatzte, doch ich war so erschöpft, dass ich sogar froh darüber war.

Ich verfolgte einige Jahre mein Soziologiestudium in normalem Tempo musste aber, um die finanziellen Lücken zu füllen, immer mehr arbeiten. So geriet mit der Zeit das Studium ins Hintertreffen, bis ich es schließlich abbrach. Es ist sehr schwierig, als erwachsener, voll berufstätiger Mensch in der Freizeit zu studieren. Der universitäre Apparat ist noch immer nicht auf diese Bevölkerungsgruppe ausgerichtet, obwohl im Jahr 2008 bereits 75% der österreichischen Studentinnen und Studenten berufstätig waren- es aus Gründen der Existenzsicherung eben sein müssen. Zufällig stieß ich auf das sogenannte Projektstudium. Dabei handelt es sich um ein Studium der Praxeologie (soziale Praktiken als Schwerpunkt, im Gegensatz zur Soziologie, die soziale Theorien zum Schwerpunkt hat), dass in Kooperation mit der Universität Strassburg in Österreich von der Arbeiterkammer, einer großen österreichischen Interessensvertretung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, angeboten wird. Ich absolvierte dieses Studium, bei dem es sogar Grundvoraussetzung ist, dass die Studentinnen und Studenten berufstätig sind und das strukturell und inhaltlich darauf abgestimmt ist.

Seit nunmehr elf Jahren arbeite ich im Bereich der psychiatrischen Nachsorge Mit viel Engagement habe ich damals begonnen, eine Freizeiteinrichtung aufzubauen, für die ich noch heute arbeite. Wie zuvor in der Elektronikbranche und in der Landwirtschaft, geschieht es jetzt im Sozialbereich, dass sich die Bedingungen verschlechtern. Darum stellt sich mir nun die Frage, ob ich bald wieder eine Tätigkeit aufgeben muss, die mich zutiefst erfüllt. Diesmal möchte ich auf jeden Fall mein Möglichstes dazu beitragen, um mir meinen Arbeitsbereich in der psychiatrischen Nachsorge zu erhalten.

Die Verbetriebswirtschaftlichung der Gesellschaft hat den Landwirtschaftssektor schon vor Jahren erfasst und ein Bauernsterben riesigen Ausmaßes eingeleitet. Mehr als ein Drittel der Bauern haben in den letzten zehn Jahren in Österreich ihren Betrieb aufgelöst. Damals habe ich vergeblich versucht, Gleichgesinnte zu finden. Jetzt holt mich diese Entwicklung wieder ein und ich bin sehr stark motiviert, all meine Möglichkeiten zu nutzen, diesem Trend entgegenzuwirken. In der Gewerkschaft habe ich mich in den letzten Jahren ebenfalls stark engagiert. Im Betrieb bin ich als Betriebsrat aktiv. Auch die Gewerkschaft kommt in den letzten Jahren immer stärker unter Druck. Die Krise des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und seine Umstrukturierung zeigen eine große Veränderung in diesem Bereich auf. Nun kann wirklich nicht behauptet werden, ich wäre für das momentane Desaster der Gewerkschaft verantwortlich. Aber ich möchte wissen, was mein persönlicher Anteil an dieser Geschichte ist. Warum arbeite ich seit Jahren in bedrohten Bereichen der Gesellschaft? Ohne Antwort auf diese Frage kann ich mich ja nicht mehr ruhigen Gewissens für einen anderen Arbeitsbereich interessieren. Vielleicht geht ja von mir irgendeine Bedrohung aus? Wird dann mein neues Interessensfeld ebenfalls in seiner Existenz bedroht? Sollte es wieder nötig sein, in ein neues interessantes Arbeitsfeld zu wechseln, möchte ich für mich persönlich vorher diese Fragen beantwortet haben.


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