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Dreimal zur Welt gekommen

Rezensionen

Rudolf Scholz in: Signum, Blätter für Literatur und Kritik:
Wem der Sinn danach steht, sich am Wertbeständigen und Maßstabsetzenden deutscher Prosa zu stärken, der möge zu den Geschichten von Wolfdietrich Schnurre greifen, die der Neumünsteraner Paranus-Verlag in einem vorzüglichen Auswahlband wieder zugänglich gemacht hat. ... Wer erinnert sich noch, dass der 1983 mit dem Büchnerpreis Ausgezeichnete zu den besten Kurzgeschichtenschreibern jener Nachkriegsgeneration zählt, zu der auch der um ein Jahr jüngere Wolfgang Borchert gehört? ... Im Jahr 1947 gehört Schnurre zu den Mitbegründern der „Gruppe 47“; bei der Eröffnung ihrer ersten Tagung liest er die Erzählung „Das Begräbnis“. Diese Erzählung gehört auch zu den ausgewählten neunzehn, in drei thematische Schwerpunkte gegliederten Erzählungen, die der Band unter dem Titel „Dreimal zur Welt gekommen“ vereint ... Auf knappen acht Druckseiten, verblüffend milieugenau, in einer Sprache, die kaum Adjektive duldet und gleichsam im punktuellen Stakkato spricht, wird der ritualhaft ablaufende Begräbnisvorgang (von Gott, Anm. des Verlages) mit so ernüchternder Konkretheit und drastischen Alltagsdetails ausgestattet, dass er als ins Absurde gesteigerte Normalität erscheint. ... Diese Diktion ist auch für die anderen Geschichten charakteristisch, die das Leben der Menschen am Ende des Krieges und Schnurre unverwechselbaren Nachkriegsautor ausweisen. ...

Thomas Kirschstein in: BrückenBote:
Schnurre schreibt packend, direkt und unverstellt über seine Erlebnisse im 2. Weltkrieg und unmittelbar danach. Beinahe schockierend und doch von einer Unbekümmertheit lotet Schnurre alle (un)menschlichen Möglichkeiten aus. Gerade dieses macht die Spannung aus, die beim Lesen nie abreißt. Es ist das Erlebnis von geradezu schreiender Ungerechtigkeit in der Entwicklung einiger seiner Geschichten. (...) Schnurre schreibt oft in direkter Rede, also Dialogform. Seine Sprache ist bildhaft und oft lässt er Naturbeschreibungen in seine Gerschichten einfließen. (...) Welche Perspektive man auch beim Lesen einnehmen mag, unverwechselbar bleibt Schnurre der kritische Beobachter der Realität. (...) Der Grund, warum der Paranus Verlag ein Buch mit Erzählungen von Schnurre herausgibt, mag sein, dass sich Schnurre für die Arbeit der "Brücke" in Neumünster interessierte und selber in der Zeitschrift "Brückenschlag" schrieb.

Kieler Nachrichten, 12.11.2008
Wolfdietrich Schnurres Werk bleibt aktuell
Der 1920 geborene und 1989 verstorbene Wolfdietrich Schnurre war einer der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. Der Mitbegründer der legendären Gruppe 47 machte in Erzählsammlungen wie Die Rohrdommel ruft jeden Tag als einer der ersten und erfolgreichsten die amerikanische Form der Short Story in Deutschland bekannt und populär.
(...) An den Storyteller und Parabeldichter erinnert eine Anthologie, die jetzt im Literaturhaus Schleswig-Holstein vorgestellt wurde: Dreimal zur Welt gekommen. Marina Schnurre, Witwe des Schriftstellers, und Fritz Bremer, Herausgeber der Zeitschrift Brückenschlag, wählten die Erzählungen aus, Schnurres neun Jahre jüngerer Kollege Günter Kunert steuerte ein Vorwort bei. Kunert und die Herausgeber erinnerten im Literaturhaus Schleswig-Holstein an die Aktualität Schnurres. (...)

Marcus Jensen in: Am Erker, Zeitschrift für Literatur, Nr. 56, 2008:
Neben "Das Begräbnis" – eine Jahrhundertgeschichte – verblüffen vor allem "Der Ausmarsch" über eine Truppe Kleinkindersoldaten, die noch schnell bewaffnet in den Krieg geschickt werden und den Hauptmann "Onkel" nennen, außerdem "Die Reise zur Babuschka" über das fast gleichzeitige und halluzinierende Sterben eines deutschen und russischen Soldaten auf einem schaukelnden Karren: Die drei sind zeitlos genau, fettfrei, schnell und von einer Erbarmungslosigkeit wie bei Samuel Beckett.

Stuttgarter Zeitung:
Die Geschichten, die in den Nachkriegsjahren entstanden, vor allem „Der Ausmarsch“, „Man sollte dagegen sein“, „Die Reise zur Babuschka“, zählen zu den besten Zeugnissen der antimilitaristischen deutschen Literatur ...
Der ausgedrückte Respekt vor der Kraft der Schwachen, der Entdeckung der Bedeutung der sogenannten Unbedeutenden, die Achtung ihrer Eigenarten und Sehnsüchte, stellen in der Literatur unseres Landes her, was selten ist, Lebensfreude. „Geschichten erzählen“, schreibt Schnurre, „ist ein menschenfreundlicher Akt.“

Horst Hartmann im Main-Echo:
Wolfdietrich Schnurre ist ein Poet der schöpferischen Widersprüche zwischen Idylle auf Widerruf und Sarkasmus, ein nüchterner Realist, verschmitzter Fabulierer, Verteidiger der Menschenwürde. ... Auf die Frage, warum er schreibe, hat Wolfdietrich Schnurre eine wahrhaft poetische Antwort gegeben: „Aus Angst vor der Vergänglichkeit. Um meine Schuldgefühle wachzuhalten. Um nicht tatenlos mit ansehen zu müssen, wie der Einzelne immer mehr in der Masse verkommt. Aus Trauer. Aus Zorn. Aus Verzweiflung.“

Hajo Steinert im Kölner Stadt-Anzeiger:
Engagiert schreiben, das hieß für Schnurre, „betroffen machen von allem, was gegen die Menschenwürde verstößt“, und gezwungen sein, „den Menschen in Bedrängnis“ zu zeigen.

Wolfdietrich Schnurre im Gespräch, in: Brückenschlag 6/1990:
Ich schreibe nicht für die literarische Elite, und ich habe eine wesentlich andere Auffassung von Literatur als meine Kritiker. Es ist eine lebendige Sache und macht Spaß. Literatur hat nie aufgehört, mir richtigen Spaß, Freude, zu bereiten.

Mathias Adelhoefer über Schnurre in: Brückenschlag 7/1991:
Schnurre kämpfte sein Leben lang gegen das Vergessen und Verdrängen – im „Schattenfotografen“ heißt es dazu zur Rolle des Lesers: „Er ist meine Hoffnung. Ohne ihn bin ich verloren. Nur er kann mich aus meinem Ich-Gehäuse erlösen: Gelesen bin ich gerettet.“

Geschichte der deutschen Dichtung:
Schnurres Erzählungen mischen Wirkliches mit heiter-bösartigen Surrealismen, prangern Einrichtungen und Verhaltensweisen an, ohne dabei ihren spielerischen Charakter zu verlieren. ... Mit Phantasie und Sarkasmus wird eine kleine Welt des Absonderlichen und Ausgefallenen gegen die "große" Geschichte ausgespielt.


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