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„...und alles ist noch da.“

Leseprobe

Vorwort von Halina Birenbaum (Israel)

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, in dieser Zeit und überhaupt immer wieder solche Bilder zu zeigen, damit die Menschen nicht vergessen und nicht sagen, es habe Auschwitz nie gegeben. Es ist meines Erachtens auch besonders wichtig, dass Deutsche selbst, die nach dem Krieg geboren sind, solche Fotos zeigen.
Auschwitz ist für mich der Ausdruck von größtem menschlichen Leiden und dessen, was ein Mensch nie sein soll. Auschwitz zeigt mit größter Deutlichkeit, was Menschen anderen Menschen antun können, wenn sie von Hass und einer Ideologie des Rassismus geprägt sind und die Würde des Menschen missachten, so dass sie zum Töten, zum Vernichten fähig sind.
Dort, in der Hölle der Gaskammern, der Krematorien, der Massenmorde, der Angst, des Hungers und der Krankheiten (die den sicheren Tod bedeuteten) – dort musste ich groß werden. In der ewigen Angst zwischen der Postenkette und den Maschinengewehren „lebte“ ich, wo jede Stunde die letzte oder vorletzte sein konnte, wo es nur Leiden und Tod gab, weil ich Jüdin war. Dort habe ich schnell gelernt, was für ein Leben es ist, wenn du Jude bist, wenn du ein Kind bist, wenn man dich hasst und dir das Leben jederzeit nehmen kann.
Die Bilder zeigen, wo ich meine Liebsten verloren habe. Ich habe gesehen, wie das Feuer ihre Körper vernichtet hat, ich habe den Geruch ihrer brennenden Körper eingeatmet. Ich war wie mitgestorben mit ihnen und mit so vielen, mit denen ich die Baracke und die Pritsche geteilt habe. Durch einige glückliche Zufälle habe ich überlebt, aber ich werde bis zu meinem letzten Atemzug diese Hölle und diejenigen, die darin umgekommen sind, nicht vergessen.
Wenn ich von diesen Ereignissen gesprochen habe oder in meinen Büchern und anderen Texten niedergeschrieben habe, was ich erlebte, habe ich davon ganz normal, aber engagiert berichtet. Mit einfachen Worten, ehrlich und sachlich, über das Wichtigste und das Wesentlichste. Gewaltige Worte und entbehrliche Schilderungen banalisieren, passen nicht zu diesem grauenhaften Ereignissen und hoffnungslosen Situationen. Das, was mir widerfahren ist, habe ich im Alter von zehn bis fünfzehn erlebt. Niemand hat mir vorher beigebracht, wie man inmitten des Todes zu leben hat, wie man eine Nacht in der Gaskammer überlebt, aus der man heraus gelassen wird, weil zufällig das Gas ausgegangen ist. Wie man es überlebt, wenn man von der Mutter losgerissen wird und sie danach nie wieder sieht, nie auch nur ein einziges Wort des Abschieds hat sagen können. Niemand hat mir gesagt, was im Lager solche Begriffe wie Bad, Desinfektion, Selektion zu bedeuten haben.
Nach Auschwitz ist alles möglich, obwohl das Böse letztlich eine Niederlage erlitten hat. Das Böse muss vielseitig erkundet und auf jede Art und Weise dokumentiert werden, damit es nicht mehr eskalieren und nie wieder tückisch werden kann. Es ist schmerzhaft schwierig, weil es Unwillen erregt und weil es Auffassungen gibt wie: es lŠsst sich nicht beschreiben, vorstellen, es gibt keine Worte in der menschlichen Sprache, um es zu vermitteln, man wird es nie verstehen. Soll man deswegen sich gar nicht erst die Mühe machen? Deswegen nicht in die Welt des Grauens, der Scheiterhaufen, der Skelette, des nie trocknenden Schlammes, der Krematorien-schornsteine und des Folterns zurückkehren? Dort sind unsere Familien geblieben, sie sind sofort umgekommen oder eines langsamen, qualvollen Todes gestorben und dieser war alles andere als menschenwürdig. Wie kann man davon schweigen?
Die Vorstellung von einer Welt, in der die menschlichen Normen wieder gelten würden, von Menschen, die zuhören und der Gerechtigkeit dienen würden, ließ uns in den allseitigen Qualen und in der Hoffnungslosigkeit ausharren, alle Schläge und Schmerzen in dieser Hölle, inmitten unzähliger Todesarten ertragen. Eine ungeduldige Erwartung und sture Überzeugung von der künftigen Niederlage dieses in der Geschichte kaum mit etwas vergleichbarem Bösen, waren die einzige Geistes-stärken während der endlosen Stunden, Monate und Jahre der Qualen.
Angefangen von der Zeit im Warschauer Getto und dem ständigen Verstecken auf dunklen Dachböden, in Kellern und in einem stickigen, überfüllten Bunker, bis die Häscher schließlich doch noch zuschlugen. So viel hatte man vorher schon von den Transporten gehört, um doch nie die Hoffnung aufzugeben, dies sei alles nicht wahr. Doch das Böse zeigte sich noch in vielen unterschiedlichen Gestalten und es hörte einfach nie auf. Es hat meine Kindheit und Jugend bestimmt, man ließ mir nicht die Zeit, ein Kind zu sein. Als ich viele Jahre später wieder nach Polen fuhr, befiel mich an diesen Orten lähmendes Entsetzen. Alle Erinnerungen drangen mit Wucht auf mein Hirn. Die Ausmaße des Lagers Auschwitz-Birkenau erschlugen mich fast, obwohl ich zwei Jahre meines Lebens hier verbracht hatte. Ich fühlte, dass ich diese Einsamkeit mit der Last meiner Erinnerungen und Gefühle nicht aushalten konnte. Erst als ich darüber sprach, was mir widerfahren war, löste sich das Gefühl des Gefangenseins zwischen Vergangenheit und Gegenwart und ich fühlte, dass man Anteil nahm an meinem Schicksal.
Ich habe damals im Haus „Reineberg“ die eindrucksvollen Bilder gesehen, die hier nun in einem Buch zusammengefasst sind. Ich habe die Jugendlichen gesehen, die sie mit großer Aufmerksamkeit und Berührung gesehen haben. Die Bilder helfen dabei, nicht zu vergessen, und deswegen bin ich dankbar dafür, dass es sie gibt.


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