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Zu Hause sein im Fragen

Rezensionen

Heike Oldenburg in Irrturm:
Was ist neu in diesem Buch? Es ist neu, dass von Profis der Satz fällt: „Professionelle Hilfe ist nachrangig.“ (...) Das Buch beschreibt einen Umgang mit Menschen, der dringend angesagt und an der Zeit ist, schon länger bekannt als Ansatz, aber noch zu wenig umgesetzt.
Der Ort der Veränderung liegt im Professionellen selbst.

Christine Theml in: Nicht ohne uns:
Beim Lesen merkte ich, dass ich auf ein Buch gestoßen bin, das ich mir schon lange gewünscht habe. Demokratisierung der Psychiatrie ist das Ziel.

Ute Thomsen in: Der Eppendorfer:
Die Zuerforschenden sind zu Mitforschern geworden. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand die alltägliche Lebensführung der Beteiligten. Forschen bedeutete in diesem Falle auch Hilfe, weil Individualität, besondere Fähigkeiten und Möglichkeiten des Einzelnen gesucht wurden statt Verallgemeinerung.
Ebenso ungewöhnlich wie die Forschung selbst ist die Berichterstattung darüber: so stellen sich alle an der Forschung Beteiligten in Wort und Bild vor. Sie erzählen ihre Lebensgeschichte, keine Krankengeschichte. Außerdem werden Situationen, Prozesse und Projekte beschrieben und interpretiert sowie theoretische Einzelfragen verallgemeinernd betrachtet.

Barbara Fürst in: pro mente sana aktuell:
Das Buch ist reich bebildert und enthält auch Beiträge von Betroffenen. Entstanden ist ein vielgestaltiger, lebendiger und gut lesbarer Bericht und zugleich eine wertvolle Fundgrube für Einblicke in Lebenswelten, für kreative Denkanstöße und für wesentliche Fragestellungen. Das macht Hoffnung, macht Mut und regt zur Begegnung von Mensch zu Mensch an.

Ursula Talke auf www.amazon.de:
Es riecht nach Zukunft...
"Zu Hause Sein im Fragen - ein ungewöhnlicher Forschungsbericht" steht auf dem Titelblatt und oben drüber: "Forschungsprojekt Lebenswelten". Statt namentlich ebenfalls auf dem Titel zu finden sind die Autoren auf dem Cover abgebildet: Sechzehn Köpfe, im Vierer-Quadrat.
Schlägt man das Buch auf, findet man dann doch die Namen der Forscher: Kurt Bader, Christian Elster, Birte Ludewig, darunter: Conny S.,
Detlef B., Elke M., Gabriela Sommer, Lilo B., Marianne D., Marie-Linde,
Michael K., Nora F., Petra C., Ute Schulz - und noch eins drunter: Anne Buhrfeind, Bernd Plate.
Eine seltsame Autorenschaft, mag man meinen. Aus dem Vorwort erfahre ich, dass es eine Förderung gab für dieses Forschungsprojekt, und zwar von der AGIP, der Arbeitsgruppe für innovative Projekte beim Ministerium für Wissenschaft und Kultur: "Entwicklung lebensweltorientierter Unterstützungsangebote im Bereich psychosozialer Versorgung" kurz eben: "Forschungsprojekt Lebenswelten".
Ausgerichtet auf die Verbesserung der Lebenssituation psychiatrie-erfahrener Menschen in der alltäglichen Lebensführung galt es zuvorderst, deren soziale Beziehungen zu stärken. Die drei "Hauptforscher" Bader, Ludewig und Elster, alle in sozialen Berufen tätig und einer davon selber auch betroffen (gewesen), sahen in den Betroffenen sozusagen ihre Mitforscher, wollten nicht über, sondern mit den Menschen forschen. So kommt es, dass alle auf dem Cover abgebildet sind.
Hohe und eben andere als die herkömmlichen wissenschaftlichen Ansprüche hat das Projekt, von dem dieses spannende Buch erzählt.
Im ersten Kapitel stellen Bader und Elster das Forschungsprojekt vor, das von Oktober 2003 bis Dezember 2005 stattfand.
Beide schreiben nacheinander über ihr grundsätzliches Forschungsverständnis, wobei Bader sich auf die kritische Psychologie stützt und Elster sein Forscher-Sein eher mit dem Entdecken neuer Fragen umschreibt und seiner inneren Haltung dem andern gegenüber, ausgehend von der Prämisse, dass es die Begegnung zwischen zwei Menschen ist, die heilt und dass es auf das Interesse ankommt, welches man dem Andern, seinem Gegenüber, entgegenbringt.
Weiter geht es mit einem Kapitel über den Deutsch-Niederländischen Psychiatrie-Kongress: "Eigen Art Sinn", der am 11. und 12. Juni 2004 in Lüneburg stattfand und dessen Vorbereitung, Duchführung und Auswertung zum Forschungsprojekt dazugehörte. So fanden sich durch die Kongressvorbereitung viele der Menschen zusammen, die später auch in den Projekten, die anschliessend beschrieben werden, zusammenarbeiteten. Interessanterweise erfährt man nichts über die Diskussionsinhalte und worum es an einzelnen Ständen, in Zelten an sich ging, sondern es wird vielmehr die Stimmung beschrieben, die Pannen beim Aufbau, die Kooperation untereinander.
Ab diesem Kapitel ist das Buch mit Photos illustriert, was die Sache sehr anschaulich macht und man fühlt sich fast, als sei man mit dabeigewesen.
Im dritten Kapitel beschreibt Marie-Linde das Haus Lebenswelten in Mölln, ein Haus mit Garten, wo man zum Essen zusammenkommt, Leute treffen kann und es werden auch Ausflüge usw. angeboten. Marie-Linde gehört zu den Mitforschern. Danach, im selben Kapitel, erzählt Kurt Bader aus seiner Forscherperspektive von seiner Arbeit, die er im Haus Lebenswelten tut.
Anschliessend bringt er seine Gedanken zu Papier über alltägliche Lebensführung und Zeitmangel, der einen am Experimentieren hindert und stellt noch einige methodische Überlegungen an: Objektivität, Reliabilität und Validität, die drei anerkannten Forschungskriterien unterzieht er einer genaueren Untersuchung, ob sie denn überhaupt geeignet sind für die Sozialforschung.
Danach erzählen dann Detlef B., Lilo B., Michael K., Marie-Linde und Petra C. ihre Geschichten - anschaulich mit einem Bild eines jeden zu Beginn, ungeschönt, ehrlich, mutig, betroffen-machend. Psychisch krank - was ist das? Ist es das?
Im vierten, fünften und sechsten Kapitel geht es wiederum um verschiedene Projekte, beschrieben von Christian Elster, Anne Buhrfeind, Birte Ludewig, Conny S., Elke M., Marianne D. und Kurt Bader. Zum einen gilt auf einem Bio-Hof im Wendland die Psychiatrie als Nebensache, Selbsthilfe wird geschildert bei einem Frauenprojekt in Lüneburg und einige Überlegungen zu guten Beziehungen, zu Handlungsfähigkeit und gegenseitiger Hilfe schliessen an die Beschreibung des Netzwerkes Freundschaftsdienste an. Im siebten Kapitel schliesslich bekennt sich Christian Elster zu den Systemsprengern: "Forschen und Lernen mit Patienten, die uns in Schwierigkeiten bringen". Vorneweg erzählt er, dass er diesen Abschnitt gerne den Betroffenen zusammen geschrieben hätte, aber "mein Umgang mit diesen Menschen hat das nötige Niveau von Gleichberechtigung und Miteinander noch nicht erreicht. Wenn mir das in Zukunft gelänge, würde es einen grossen Schritt nach vorn bedeuten." So schildert er Menschen,
Begegnungen, auftauchende Schwierigkeiten und den Umgang damit immer aus der Sicht des forscheneden, des lernenden, des staunenden Mitmenschen.
Nachdem er seine "Lehrer" vorgestellt hat, gliedert er sein Kapitel in dreizehn Teile mit Überschriften wie "das Fremde würdigen"; "Interesse ehrt", "Diagnose kränkt"; "zweckfreie Begegnung", "sich vom Erfolg lösen".... ich will sie nicht alle zitieren. Beeindruckend ist, wie Elster abwechselnd Situationen erzählend beschreibt, um dann wieder im Fachtext zu landen - dieses Aufbrechen des Textes macht das Lesen abwechselungsreich und mühelos.
Nach diesem langen ausführlichen und spannenden Teil von Elster, der übrigens einen anthroposophischen Hintergrund hat, wird im nächsten Kapitel die Kernfrage des Buches aufgegriffen: Was ist ein guter Profi?
Ausser den drei "Hauptforschern" gesellt sich noch Matthias Heißler, Leiter der Psychiatrie des Geesthacher Johanniterkrankenhauses dazu, mit dem Kurt Bader ein Interview führt, das diesem Kapitel voransteht. Es geht also um Professionalität, um Hilfe, und zwischendurch wird eine etwas merkwürdige Frage gestellt: Ob Profis denn vielleicht besonders schlecht geeignet seien, Hilfe zu leisten?
Was mit der Forschung denn erreicht worden sei, fragt Kurt Bader im letzten Kapitel und das Nachwort bleibt einer Mitforscherin vorbehalten,
Gabriela Sommer, die frei und offen ihre Gedanken und Erfahrungen kundtut
und mit den Sätzen endet: "Das Forschungsprojekt hinterlässt eine Menge Fragen. Doch habe ich auch grade durch das Projekt gelernt, dass mich das Fragen, Nachforschen, Auf-der Suche nach Antworten sein im Alltag lebendig sein lässt und öffnet für das Gegenüber."
Professionalität der Zukunft.Im Zeitalter von Trialog und angestrebten Begegnungen auf gleicher Augenhöhe ist dieses Buch, oder vielmehr das Forschungsprojekt ein Schritt in die richtig Richtung. Ein Anfang, einer von vielen Schritten. Es schönt nichts, es schreibt nichts vor, es gibt noch nicht einmal Ratschläge. Es benennt die Dinge, wie sie sind, legt den Finger oftmals auf die offenen Wunden, stellt die Fragen da, wo sie am unpraktischsten sind, - und alles in einer eher staunenden, freundlichen Art und Weise, die das gewohnte Bild von Professionalität langsam, unaufhaltsam und lautlos in sich zusammensacken lässt.
Jeder Mensch mit Psychiatrie-Erfahrung kennt das Machtgefälle zwischen Professionellen und Betroffenen, kennt die Situation des Ausgeliefert-Seins im Klinik-Alltag, kennt den Graben, der immer wieder neu gezogen wird.
Dieses Forschungsprojekt, beschrieben im Buch auf 202 Seiten, ist ein "guter Haufen Erde", diesen Graben zuzuschütten, ein brauchbarer, ehrlicher, unorthodoxer Anfang, Fragen neu zu stellen und Dinge aus anderen Perspektiven zu betrachten. So wie Geben seeliger ist denn Nehmen, ist Helfen froher machend wie geholfen bekommen - die grösste Hilfe ist es also, wenn man selber helfen darf. Diese und andere Gedanken werden aufgeworfen - es ist ein Buch, das man nicht nur immer wieder in die Hand nehmen wird zum Nachschlagen, nein, es ist ein Buch zum Leben, zum Selber-weiter-Fragen, zum Mitforschen - um Neues zu Entdecken und Altes angstlos über Bord zu werfen. Ein Buch der Zukunft und hoffentlich bald ein Standartwerk in der Ausbildung der psychiatrisch Tätigen, die zukünftig ja auch mit aus Betroffenen bestehen werden.
So kann man den Forschern wie den Mitforschern und dem Paranus-Verlag nur zu diesem Buch gratulieren, das, wie ein guter Profis es sein soll, im Fragen zu Hause ist ...


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